Ein Modell für "Schöne Organisationen" von Lothar Wenzl

Schöne Organisationen steuern

Um eine exzellente, lebensfähige und inspirierende Organisation zu schaffen, braucht es eine klare Vorstellung vom »Gegenstand«, eine Beschreibung und ein Bewusstsein also, womit wir es dabei zu tun haben. Der oft gezogene Vergleich mit einem Architekten, der ein Modell baut, greift hier zu kurz. Da es sich bei Organisationen nicht um körperliche Manifestationen von Vorstellungen handelt. Wir haben es mit abstrakten »Gebilden«, sozialen Systemen, zu tun, die nur in unserer Vorstellung, in unseren Konstruktionen – wirklich sind.[1]

Dafür bedienen wir uns Denk-Modellen, die Wirklichkeit so abbilden – so vereinfachen – dass wir damit Handlungsspielräume für die Gestaltung erhalten. Nun gibt es viele Organisationsmodelle, das 7S-Modell von McKinsey etwa und viele andere.

Das Modell, das ich entwickelt habe, spricht vor allem den Aspekt der Steuerung an und bezieht das Ökosystem mehr als in den meisten mir bekannten Organisationsmodelle mit ein. Es soll Orientierung geben, welche Parameter es braucht, um für die Steuerung – und zwar in Richtung »schöner« Organisationen und Unternehmen – möglichst wirksam zu werden.

Die Frage, was eine »schöne« Organisation ist, werde ich später noch erläutern.

Behaupten und lebensfähig bleiben

Die übergeordnete Frage für alle lebenden Systeme – also auch bei Organisationen – lautet, wie es sich in seinem Ökosystem, auf den Märkten behaupten und damit lebensfähig bleiben kann. Spielt die Qualität des Überlebens im Modellstadium zunächst noch eine untergeordnete Rolle, kommt diese etwa im Kontext der Ökonomie schnell ins Spiel. Etwa über die Frage wie Erfolg definiert oder wie viel Wachstum oder Gewinn erwartet wird.

Abb. Modell zur Steuerung von Unternehmen und Organisationen von Lothar Wenzl

Die richtige »Erde« für die Wurzeln

Wer steuert, braucht eine Vorstellung von Zeit und Raum. Das ist wie beim Segeln: Ohne Orientierung im Raum, also eine Verortung des Schiffs auf dem Meer und in der Zeit, werden wir weder wissen, wo wir stehen, woher wir kommen, noch wie wir von hier aus wo genau ankommen könnten.

Für Organisationen bietet sich dafür eine historische Einbettung an, die Schaffung von Bewusstsein über die eigene Herkunft. Ein Manager fragte mich einmal, wozu das notwendig wäre, da die Vergangenheit ja vorbei und daran ja nichts mehr zu ändern sei. Meine Antwort war, dass die Frage, wie die Vergangenheit zum Beispiel in Form vergangener Entscheidungen bewertet wird, höchst gegenwärtig und damit fundamental für Lernen sei.

Bewertungen finden immer in der Gegenwart statt und dienen vor allem dazu, zu lernen ein besseres Verständnis über die Erfolge/Misserfolge der Vergangenheit zu entwickeln. Erst damit können wir zukünftige Strategien punktgenauer ableiten. Erst dann werden aus historischen Inzidenzen, Beschreibungen und Erfahrungen Ressourcen und damit Produktiv-Faktoren. Frei nach dem Motto: »Es ist nie zu spät, der eigenen Vergangenheit positive Seiten abzugewinnen und sie damit zu verändern.«

Ich bezeichne dies in meinem Modell als Wurzeln der Organisation. Wer kein Bild über seine Wurzeln hat, kann nicht wissen, welche »Erde« dafür die beste ist. Wer seine Basis nicht kennt, wird nicht wissen, wo er/sie wegspringt und wie weit einem die Wurzeln denn erlauben, das eigene Dach auszubreiten.

Leitfragen zu den Wurzeln

Woher kommen wir?

Was sind unsere wichtigsten Stärken und Talente?

Woran glauben wir?

Was macht uns aus?

Welche Werte teilen wir? Welche leben bereits?

Das Geheimnis der Glaubenssätze

Je länger ich mit Unternehmen arbeite, umso wichtiger scheinen mir die in der Organisation wirksamen Glaubenssätze zu werden. Glaubenssätze (das inkludiert Werte) sind quasi die Erde der Handlungen und Prozesse und damit der Operationsweisen. Sie bringen Licht in die mentalen Modelle der Menschen. Dabei ist es für die gelebte Praxis recht unerheblich, ob diese Glaubenssätze implizit oder expliziert sind.

Für »schöne Organisationen« ist wesentlich, woran etwa die Mitglieder eines Management-Teams glauben, ob an unendliches Wachstum oder daran, dass freie Märkte alles zum Guten wenden. Oder eben nicht. Gibt es im Unternehmen die Überzeugung, dass Unternehmen heute einen relevanten Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels leisten müssen, oder ist dies eine Verkaufschance – also eine Business Opportunity. Was ist letztlich das, von dem Menschen in Unternehmen überzeugt sind, dass es entscheidend für ihren Erfolg sein wird und auf der Werte- und Glaubensebene mitgetragen werden kann.

Vor dieser Frage standen Bill und Vieve Gore als sie sich fragten, wohin das Unternehmen Gore denn gehen sollte. Für sie war klar, dass Innovation der Schlüssel zum Erfolg sein würde. Sie glaub(t)en daran, dass dafür eine Kultur von Augenhöhe und Selbstcommitment anstatt von Befehlen oder Hierarchie entscheidend sein würde. Nur dies würde die Talente und die Kreativität der Menschen entfachen.

Das folgende Zitat fasst diese Glaubenssätze wohl am besten zusammen:

«We don’t manage people here. There is a fundamental difference in philosophy between a commitment and a command.«

W.L. Gore [2]

Solche Glaubenssätze prägen das Verhalten, sie kommen aus unserer Vergangenheit, aus unserer individuellen und im Falle von Organisationen auch aus der kollektiven Geschichte. Geschichte, Herkunft, Prägungen und Muster zu verstehen, ist daher höchst relevant, da kein lebendes System für alles gemacht ist. Jedes hat eine genetische und soziale Prägung, die immer noch viele Möglichkeiten lässt, aber eben auch viele andere ausschließt.

Nachdenkpause – ein paar Beispiele für Glaubenssätze

1. Wie sehr glauben wir daran, dass Exzellenz über das konsequente Arbeiten an den Stärken von Menschen gelingt? Wie die Glücksforschung herausgefunden hat. Oder ist die Überzeugung eher, dass wir vor allem aus der Arbeit an Defiziten besser werden? Wie wir das aus den meisten Schulsystemen gewohnt sind.
 
2. Wie sehr sind wir überzeugt, dass unendliches Wachstum auf diesem Planeten möglich ist? Weil etwa der technische Fortschritt uns immer wieder neue Möglichkeiten geben wird, dieses auch zu erreichen.

3. Brauchen Organisationen »heroische« Führung? Jemanden oder mehrere, die die großen Ideen haben, alle anderen inspirieren und mitziehen? Oder sind wir überzeugt, dass wir für unsere Unternehmen Systeme und Strukturen bauen sollten, in denen Menschen eigenverantwortlich und teamförmig Ziele erreichen können?

4. Glauben wir daran, dass jeder individuell Nutzen maximieren sollte (homo oeconomicus) oder eher daran, dass wir in der Gesellschaft und in unseren Unternehmen eine solidarische Verantwortung haben?

5. Nennen Sie einige Glaubenssätze, die Sie oder Ihre Kolleg:innen leiten.

Vision

Welche Glaubenssätze, Werte und Überzeugungen es auch immer sind, wir brauchen gemeinsame Bilder zu diesen Fragen, damit wir kräftige, überlappende Zukunftsbilder entwickeln können – der nächste Parameter des Modells. Für Menschen ist die Frage, wohin wir gehen wollen, höchst zentral, weil die Beantwortung dieser Frage Orientierung für unseren nächsten Schritt gibt.

Bleiben wir bei der Metapher des Segelns. Ein Kompass gibt uns eine klare Richtung, er zeigt uns nicht, welche Wege wir gehen sollten, gibt uns aber klare Orientierung, in welche Richtung wir gerade auf Kurs sind. Die Entscheidung für unsere nächste Aktion liegt bei uns. Ähnlich ist dies mit Zukunftsbildern (ich setze den Begriff hier mit Vision gleich) in Organisationen. Mit diesen können wir dann große und kleine Ziele ableiten, die dazu dienen, uns Orientierung für unseren nächsten Schritt zu geben, und zwar egal ob sie groß (Vision: wohin will ich mit meinem Leben?) oder klein (will ich einen Kaffee trinken gehen oder doch gleich ins Büro). Sie sind weniger dafür da, dieses Ziel auch punktgenau zu erreichen, als vielmehr uns Verhaltensorientierung für unsere unmittelbare Zukunft zu geben.

Dieser emergente Zugang zum Thema Ziele hilft zumeist schon, die Komplexität für die Beantwortung von Fragen zu Vision oder strategischen Zielen zu reduzieren, weil wir dann weniger in Gefahr sind, große, jahrelange Pläne zu machen, die heute nicht mehr halten.

Leitfragen zur Vision

Wer sind wir, wenn wir unsere wichtigsten Hoffnungen und Träume erreicht haben werden? Was tun wir dann?

Was wollen wir erreichen? Was streben wir wirklich an? Und was auf keinen Fall?

Was möchten wir, dass Kund:innen, Mitbewerber:innen, Lieferant:innen … über uns erzählen?

Wie sollen Menschen bei uns arbeiten können? Was sagen und fühlen diese dann? Worüber sprechen sie dann begeistert?

Woran werden wir und unsere Umwelten erkennen, dass wir unsere großen Ziele und Träume erreicht haben?

Blatt

Fragen wie diese helfen dabei, Bilder über Richtungen zu entwickeln. Sie dienen aber auch dazu, diverse Perspektiven für das Erarbeiten der eigenen Zielbilder (=Vision) und Stoßrichtungen im Prozess der Entwicklung dieser Strategien in einem organisationsweiten Dialog breit diskutieren zu können.

Wenn wir schöne Organisationen erschaffen wollen, müssen diese Fragen auch in einem größeren Kontext mit den Themen soziale und ökologische Nachhaltigkeit verbunden werden (Ich werde dies noch im Beitrag genauer darlegen). Erst dann wird überhaupt herauszufinden sein, was die Menschen in diesen Organisationen wollen und mittragen. Erst dann wird Energie, Commitment und Engagement der Menschen entstehen. Menschen unterstützen das, was sie mitgeholfen haben, zu erschaffen, lautet der Glaubenssatz dazu, ein Gedanke, den ich Paul Tolchinsky verdanke[3].

Patagonia kann an dieser Stelle noch einmal als treffendes Beispiel dienen: Patagonia glaubt nicht mehr an bedingungsloses Wachstum. Sie haben daher Wachstum als Ziel gestrichen und stattdessen den eigenen Beitrag zur Rettung des Planeten als Ziel formuliert.

In ihrer Strategie bildet sich das über Konzepte der Circular Economy ab, in dem Patagonia alte oder nicht passende Produkte von Kunden zurückkauft, sie repariert anstatt neue zu erzeugen und damit in Wachstum zu investieren. In 2022 hat der Gründer dieses wunderbare Unternehmen nun »der Erde übergeben« und es einer gemeinnützigen Stiftung übertragen.

Wenn wir nun den größeren Kontext hereinholen, sollte dies für Vision Statements mittlerweile jeder Organisation bedeuten, dass diese direkt Bezug und positiven Einfluss auf die Bewältigung der Klimakrise, in sozialen Fragen und auch das aktuelle Wirtschaftssystem nehmen sollten.

Kein Unternehmen kann und darf sich daher diesen Fragen mehr entziehen, wollen wir unsere Zukunft als Menschheit nicht gefährden, denn genau diese steht auf dem Spiel. Glaubenssätze wie …

  • Ein Unternehmen ist kein Sozialverein.
  • Für die Fragen der Ökologie und des Sozialen ist der Staat zuständig. (Meist ist übrigens damit nur die Politik gemeint und nicht wir alle.)
  • Darum können sich Unternehmen nicht kümmern, sie schaffen ja ohnehin Arbeitsplätze.

… werden wir wohl dafür überwinden müssen und durch solche oder ähnliche ersetzen:

  • Ökonomie und regeneratives Wirtschaften sind miteinander vereinbar.
  • In der Organisation breit getragene und verhandelte Entscheidungen führen nicht zur Verlangsamung, weil alle mitreden wollen, sondern zu besseren Ergebnissen.
  • Das Schaffen von Arbeitsplätzen ist alleine noch keine gute Nachricht, welche Arbeitsplätze wir für welchen Purpose und mit welcher Auswirkung schaffen, wird über unsere Zukunft entscheiden.

Organisationsdesign

Haben wir uns bei den ersten beiden Faktoren auf der Zeitachse bewegt, wechseln wir nun in die räumliche Dimension. Wie muss der Körper des Unternehmens aussehen, damit auf Basis der Herkunft, der eigenen Möglichkeiten und Ressourcen, die eigene Vision und gewünschte Ziele erreichbar werden?

Bemühen wir die Metapher des Körpers, ist Organisations-Design das, was bei lebenden Systemen etwa Knochen, Blutgefäße, Nervensystem, Muskeln und Sinnesorgane leisten. Sie sorgen dafür, dass wir mit der Welt in Resonanz sind und unseren Stoffwechsel aufrechterhalten wird. Damit ist auch die »Arbeit« eines lebenden Systems beschrieben.

Ähnlich sind Organisationen dafür da Arbeit zu organisieren. Eine höchst komplexe Aufgabe, wenn man bedenkt, dass diese operational geschlossen sind. Also für jede Handlung an frühere Handlungen anschließen und gleichzeitig die Innen-Außendiskrepanz zu bewältigen haben. Die Frage also, wie etwa Kund:innen und Mitarbeiter:innen so in Kontakt kommen, dass Mehrwert entsteht.

Naomi Stanford definiert «Organisations Design« als »a systems approach to arranging how to do the work necessary to effectively achieve a business purpose and strategy whilst delivering high quality customer and employee experience«[4]. Oliver Schrader und ich haben es in unserem Buch »Die Spielregeln der Führung«[5] als »Gewebe der Organisation« bezeichnet.

Der Begriff soll das darin auftretende systematische Zusammenwirken aller Faktoren, Ebenen und Einflüsse sichtbar machen, die dafür sorgen, dass der gewünschte, erhoffte Output entsteht. Es beschreibt den abstrakten Körper, einen Raum, der einen vitalen Rahmen für die individuelle und kollektive Handlungsfähigkeit bietet. Mit Körper sind hier alle Formen gemeint, die eine Organisation entwickelt, um darin Arbeit wie Kommunikation, Entscheidungen, die Koppelung mit ihren Umwelten wie Kund:innen, Partner:innen, Bewerber:innen zu ermöglichen und reproduzierbar zu machen. Formen betreffen daher das absichtsvolle Managen oder Steuern auf Ziele hin und – immer wichtiger werdend – auch informelle oder absichtslose Räume.

Stellen wir uns diesen Körper der Organisation noch genauer vor – da er unsichtbar ist, bleibt uns ja auch gar nichts anderes über.

Wie greifen Arbeitsschritte so ineinander, dass zu den Kund:innen hin exzellente Dienstleistungen und Produkte entstehen? Welchen Beitrag leisten dazu die einzelnen Abteilungen bzw. Bereiche? Dies bezeichnen wir als horizontale Kooperation. Wie diese Teams, Abteilungen dafür im Inneren aufgestellt und organisiert sind, vertikale Kooperation[6]. In Summe ist daher eine Organisation das Produkt aus horizontaler und vertikaler Kooperation.

Wie diese Kooperation qualitativ ausgestaltet ist, welche Intensität sie braucht und wie Kommunikation vertikal und vor allem an den Nahtstellen läuft, entscheidet über die Qualitäten der Leistungen einer Organisation. Komplettiert und eigentlich erst ermöglicht wird sie durch die informelle Kommunikation und Kultur. All das, was also spontan im nicht geplanten Raum passiert, an der Kaffeemaschine oder beim Tratschen nach und vor den Meetings.

Wir gehen heute davon aus, dass informelle Räume für mindestens 20% der Produktivität von Organisationen verantwortlich sind. Dies lässt sich einerseits in ersten soziometrischen Studien zeigen[7], deckt sich aber auch mit unseren Erfahrungen in unserer Arbeit.

Informelle Kommunikation hat unter anderem noch eine essentielle Funktion. Sie soll heilen, Kommunikation nachzubessern, korrigieren oder konkretisieren, was in den Meetings, den Zielgesprächen, und vielen anderen formellen Strukturen nicht ausreichend Platz findet oder nicht angesprochen werden kann.[8] Das ist unter anderem auch das, was uns am meisten fehlt, wenn wir nur in virtuellen Formaten kommunizieren.

Leitfragen zum Organisationsdesign

Welche Prinzipien sollten uns leiten, wenn wir unsere Organisation in Richtung unserer Vision bestmöglich designen wollen?

Welche (formellen/informellen) »Räume« bauen wir dafür?

Wie ist Arbeit strukturiert und welche (möglichst) wenigen Prozesse beschreiben sie am besten?

Wie designen wir Kommunikation so, dass unsere Beziehungen gelingen und tragfähig sind?

Wie sind Entscheidungen organisiert? Wer trifft sie auf welcher Basis und wie? Und nun Hand aufs Herz: wer eigentlich tatsächlich?

Welche Regeln gelten und brauchen wir? Welche sollten wir unbedingt weglassen?

Nachhaltiges Business Modell

Das Geschäftsmodell ist neben Strategie eine weitere heilige Kuh des Top-Managements. Oft wird es als etwas behandelt, das man am Reißbrett skizzieren kann, etwas, das quasi vom Markt oder Unternehmen vorgegeben, fast unveränderlich da liegt und wenig aktiv gesteuert werden kann.

Sehr oft erleben wir, dass alles andere um dieses Business Modell verändert werden müsste, wie etwa die Kultur, die Prozesse oder auch die Fähigkeiten der Menschen besser trainiert werden sollten. In diesen Fragen sind sich obere Führungskräfte eher bewusst, dass man die Menschen dafür einbeziehen sollte. Bei Strategie und beim Business Modell ist dies häufig noch anders. Dies scheint eine technokratische Expertenaufgabe zu sein, Berechnungen anzustellen, die vor allem von Spannen und Gewinn getrieben sind. Diese sind zwar Teil des Business Modells, aber bei weitem nicht der einzig wichtige.

Der Reihe nach: Ein Business Modell beantwortet die Frage, welches Kundenversprechen eine Organisation einlösen will und kann, und wie sie daran ausreichend verdienen kann, um längerfristig davon leben zu können. Der entscheidende Mehrwert heute ist aber Nachhaltigkeit. Schöne Organisationen bauen Business Modelle, die ein Kundenversprechen nachhaltig beantworten, also Produkte herstellen oder Dienstleistungen anbieten, die regenerativ sind und zu einer besseren Welt beitragen.

Im Falle von Patagonia ist dies besonders deutlich. Aber auch in Unternehmen wie bspw. Eterna, einem Hemdenhersteller aus Deutschland, wird mehr und mehr auf Re- und Upcycling gesetzt, in Europa mit nachhaltiger Baumwolle hergestellt und seit vielen Jahren bereits auf jede Form der Werbung verzichtet. Weil dieses Geld deutlich besser für die Mitarbeiter:innen, für Entwicklung und Innovation verwendet werden kann. Und dieses Beispiel sei hier nur stellvertretend erwähnt.

Im Business Modell geht es heute nicht mehr hauptsächlich darum, ertragreiche Geschäfte zu machen, sondern vor allem wie dieses Geschäft gemacht wird, wie sehr es in einer verantwortungsvollen Form betrieben werden kann. Die Herausforderung ist groß, aber nur Unternehmen, die sich dieser ernsthaft stellen, werden auf längere Sicht auch ökonomisch überleben. Und diese Einschätzung scheint mir nicht sehr gewagt zu sein.

Gerade in den letzten 2 Jahren wird die Notwendigkeit eines nachhaltigen, regenerativen Business Modells noch viel deutlicher. Kämpfen doch fast alle Branchen und Unternehmen mit dem sich zuspitzenden Arbeitskräftemangel. Dieser sorgt neben vielen anderen Effekten auch dafür, dass sich vor allem junge zukünftige Talente deutlich mehr für jene Unternehmen entscheiden, die sich diesem Thema konsistent und glaubhaft widmen[9].

Nachhaltigkeit ist hier naturgemäß auch in der sozialen Dimension zu sehen. Unternehmen werden Menschen im Inneren ein inspirierendes Umfeld bieten müssen, dass Sinn, Flexibilität und Arbeit auf Augenhöhe bieten kann[10]. Nur wenn Innen und Außen kongruent sind, kann auch das Geschäft auf Dauer nachhaltig gemacht werden.

Leitfragen zum Geschäftsmodell

Wer sind unsere Kunden? Wer sollten sie sein?

Wie und womit erzeugen wir Wert?

Welche Fähigkeiten und Mindsets brauchen unsere Mitarbeiter:innen und Führungskräfte dafür?

Welche Plattformen verwenden wir dafür?

Wie sieht unsere Wertschöpfungskette aus?

Welche Technologien (Kommunikation, Technik, …) brauchen wir dafür?

Wie regenerativ produzieren wir?

Beitrag zur Welt

Menschen beziehen aus ihrer Umwelt all jene Ressourcen (Nahrung, Sauerstoff, …), die sie für die Produktion von Lebens-Energie (Bewegung, Intelligenz…) brauchen. Sie erhalten aus ihren Umwelten alles, um ihr Leben zu gestalten. In anderen Worten, ohne Umwelt kein Leben. Die Natur weiß das. Sie hat daher ein zirkuläres, regeneratives Ökosystem entwickelt, das es ihr erlaubt, gut zu überleben, ohne mehr zu entnehmen als gebraucht wird.

Genauso wie dies für die Natur gilt, werden wir Menschen und Organisationen aller Art dies zu beherzigen haben, wenn wir uns selbst auf diesem Planeten (ein gutes) Leben erhalten wollen. Wenn wir davon ausgehen, dass Organisationen in ihren Ökosystemen eingebettet sind und mit diesen als kommunizierende Gefäße im Austausch stehen, dann bedeutet dies, dass sie für alle Umwelten Verantwortung tragen.

Verantwortung dafür, diese Ökosysteme so mitzugestalten, dass sie für sich selbst und andere ein viables Umfeld darstellen, das allen Teilen dieses Systems (ein gutes) Leben ermöglicht – aus reinem Selbstschutz und aus Verantwortung für Gesellschaft und Natur.

»Ich trage für alles Verantwortung, worüber ich Macht habe.«

Hans Jonas [11]

Verfolgen wir diesen Gedanken zu Ende, bedeutet er, dass wir als unverzichtbare Umwelten, man könnte auch Stakeholder dazu sagen, die Gemeinschaft und Ökologie dazu rechnen sollten, ja sogar müssen. Konzepte wie Circular Economy, regeneratives Wirtschaften, Foundational Economy[12] und viele mehr sind dabei sich zu etablieren.

Jedes Unternehmen sucht händeringend Nachhaltigkeits-Expert:innen, alle großen Beratungshäuser dieser Welt bauen riesige Geschäftsfelder dazu auf, eine Entwicklung, die rasant erfolgt. Vieles davon hat der EU Green New Deal, die Taxonomieverordnung oder auch das bevorstehende Lieferkettengesetz ausgelöst. Und viele weitere Steuerungsmaßnahmen werden folgen (müssen). Wenn wir uns die Natur, Fauna und Flora, das Klima und die Gemeinschaft als Personen vorstellen, die unter und mit uns leben, wird dies vielleicht plastischer.

Fragen wir sie einfach – systemische Fragetechnik hat hier ja den wunderbaren Kunstgriff der triadischen Fragen parat. Was würde der Bach, der bei unserer Produktionsstätte vorbeifließt, zu unseren Produkten und den Ressourcen, die wir dafür brauchen, sagen? Was die Felder, die mit diesem Bach früher bewässert wurden?

Leitfragen zu unserem Beitrag

Wozu tragen wir in der Welt/Gesellschaft bei? Welche positive Rolle spielen wir für die Gemeinschaft, aus der wir ja Mitarbeiter:innen und Kund:innen beziehen?

Wie soll unsere Arbeitgebermarke wahrgenommen werden?

Wie geht es der Umwelt (Wasser, Fauna, Flora,…) mit unseren Produkten? Wie sehr berücksichtigen wir die Interessen aller Lebewesen? Wie sehr schaden wir diesen?

Wenn wir die für uns relevanten SDGs heranziehen: auf einer Skala von 0-100%, wie sehr erfüllen wir diese bereits?

Wo hat die Natur aber auch die Gemeinschaft in unserem Umfeld von unserer Arbeit profitiert?

Wie sieht unsere ökologische und soziale Bilanz aus?

Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist hier jedenfalls kein hinreichendes Argument, könnten doch alternative Jobs vielleicht sogar mehr Wert und einen größeren Beitrag zu einer besseren Welt leisten als die hier bestehenden. Vielleicht hat das gebundene Kapital an Arbeitskräften innovativere, ökologisch nachhaltigere Produkte und Technologien ja sogar verhindert.

Zusammenfassung

Das hier vorgelegte Steuerungsmodell für Unternehmen und Organisationen soll auf hoher Flughöhe Orientierung geben, worauf es heute in der Steuerung von Unternehmen ankommt. Es soll wie ein Kompass wirken, der uns immer Orientierung geben kann, wo wir gerade stehen, was wir gerade ein– und was wir gerade ausblenden und ob diese Perspektiven ausreichend funktional sind. Gleichzeitig gibt es Handreichungen für ganz konkrete Entscheidungsfragen, die im Dialog in der Organisation prozessiert werden können oder sollten.

Es ist keine Checkliste, sondern eine Meta-Landkarte, um die heute relevanten Parameter in Spannung zu halten, um in aller Ambiguität und Unsicherheit steuerungsfähig zu bleiben. Es plädiert für den Re-entry vieler bis heute weitgehend externalisierter Faktoren wie sozialer Fairness, Ressourcenausbeutung oder auch überbordender CO2-Emissionen in die Verantwortung und damit die Steuerung von Unternehmen.

In diesem Sinne ist dieses Modell hoffentlich ein Beitrag, Unternehmen als wichtigen, kräftigen Teil der Lösung für die aktuellen Probleme der Menschheit zu sehen. Denn letztlich wird der Beitrag von Organisationen aller Art zu einer besseren Welt einen entscheidenden Einfluss auf den Planeten und unser Leben auf diesem haben.

Wie positiv, regenerativ und sozial nachhaltig er ausfällt, wird darüber mitentscheiden, ob wir als Menschheit eine Zukunft haben. Klingt übertrieben und zugespitzt? Ich glaube kaum.


[1] Fritz B. Simon: Eine Einführung in die systemische Organisationstheorie, 2007

[2] W.L. Gore, der Gründer des gleichnamigen Unternehmens

[3] Vgl auch: Dannemiller, Tyson Ass.: Whole Scale Change, 1981

[4] Naomi Stanford: Guide to Organisation Design, 2007

[5] Schrader, Wenzl: Die Spielregeln der Führung, 2015

[6] Siehe: Dannemiller Tyson Associates: Whole Scale Change- Unleashing The Magic in Organizations, 2000

[7] Christoph Kucklick: Die granulare Gesellschaft, 2014

[8] Ein Gedanke, den ich Gianpiero Petriglieri verdanke.

[9] Deloitte, The Deloitte Global 2021 Millennial and Gen Z Survey, 2021

[10] Lena Maria Glaser, Arbeit auf Augenhöhe, 2022

[11] Hans Jonas: Das Prinzip der Verantwortung, 1979

[12] Institute for Multilevel Governance and Development, Foundational Economy Collective

Portrait von Lothar Wenzl

Lothar Wenzl

Systemischer Unternehmensberater für tiefgreifende Transformationsprozesse, die schöne und erfolgreiche Organisationen gestalten helfen.

l.wenzl@trainconsulting.eu
+43 664 150 23 70