Planet Erde ist unser wichtigster Stakeholder

Klimakrise, Wirtschaftskrise, Hyperinflation – gerade heute brauchen wir Unternehmen, die Vorbilder sind, die beispielhaft vorangehen und Krisen aktiv in Angriff nehmen. Wo sind die Unternehmen, die großen Wert darauf legen, ihre gesamte Wertschöpfungskette nachhaltig zu gestalten, die alle Stakeholder (und nicht nur die Shareholder) mit Respekt behandeln und gerne auf Augenhöhe kooperieren, die kontinuierlich versuchen einen Beitrag zu einer besseren Welt (Club of Rome) zu leisten, denen die ESGs ein Leitstern im Wirtschaften sind?

Claudia Wintersteiger macht sich auf die Suche und interviewt visionäre Unternehmer:innen, für die Nachhaltigkeit kein »Greenwashing« und kein neuer Wachstumstreiber ist. Sie spricht mit Menschen, die ihre Verantwortung ernst nehmen und die teils radikal neue Wege gehen, um die (Wirtschafts-)welt nachhaltig zu verändern.

Heute im Interview: Mathijs Visch, General Manager EMEA, Patagonia

Erst kürzlich hat der einstige Extremkletterer und Gründer des Outdoor-Ausrüsters Patagonia, Yvon Chouinard, sein Unternehmen quasi dem Klimaschutz gespendet und die Erde als nunmehr »einzigen Aktionär« der Firma bezeichnet. Sein GM für Europa, den Nahen Osten und Afrika, Mathijs Visch, sieht den Planeten als »wichtigsten Stakeholder« der Modemarke, die Gier als Auslöser der Klimakrise und das Ende des »extraktiven Kapitalismus« gekommen.

Im Interview mit Claudia Wintersteiger von Trainconsulting spricht der ehemalige Nike-Manager über österreichische Gletscher, weshalb Menschen ein bisschen länger auf ihre neue Jacken warten sollten. Und warum sie eventuell auch gar keine neue brauchen.

»Im Prinzip geht es darum, alle Stakeholder eines Unternehmens respektvoll und positiv zu behandeln. Dazu gehören die Eigentümer, aber auch die Mitarbeiter:innen; im Prinzip alle Partner in der Wertschöpfungskette von der Produktion bis zum Vertrieb, das Gemeinwesen und natürlich auch der Planet Erde, den man im Grunde genommen oft als Ressourcenbasis nutzt«, …

… erklärt Visch seine Vorstellung, wie Organisationen Verantwortung für Gesellschaft und Ökologie übernehmen sollten.

Dem Leitbild »We are in business to save our home planet« folge Patagonia nicht nur durch finanzielle Unterstützung von Umweltorganisationen, sondern auch durch nachhaltige Geschäftsentscheidungen vom Einsatz der verwendeten Rohstoffe über die Entlohnung der Arbeitskräfte bis zur Ausgestaltung der Lieferketten.   

»Ein praktisches Beispiel ist etwa die Frage, ob wir einige Produkte aus Asien per Luftfracht oder umweltfreundlicher mit herkömmlichen Transportmitteln versenden und so den Kompromiss eingehen, dass Kunden Verzögerungen in Kauf nehmen müssen«, so Visch. Darüber hinaus sei Patagonia »unglaublich engagiert«, Produktlinien mit langen Lebenszyklen zu kreieren – »im Gegensatz zu traditionellen Unternehmen, die alle drei bis sechs Monate, in der Fast Fashion-Industrie sogar alle zwei Wochen, eine neue Kollektion herausbringen.

Verantwortungsvolles Bekleidungsdesign und innovative Produktion verringern den Fußabdruck«, lautet seine Formel.

Innovation bestimmt laut Visch auch die Auswahl der verwendeten Materialien von regenerierter Bio-Baumwolle bis zu recyceltem Polyester. »Vor ein paar Jahren wurden wir beispielsweise von Vier Pfoten darauf hingewiesen, dass unsere Daunenproduktion nicht tierfreundlich ist. Wir haben darauf hin mit dieser Organisation zusammengearbeitet und versucht, das zu ändern, bis wir letztlich bei einem sehr wichtigen Teil unseres Produkts überhaupt von Daunen abgekommen und zu einer synthetischen Lösung übergegangen sind«, beschreibt der General Manager die Bereitschaft, mit gemeinnützigen Organisationen zusammenzuarbeiten und von ihnen zu lernen:

»Es ist einfach wichtig, Fehler nicht zu leugnen, sondern offen und transparent zuzugeben und zu beheben.«

Mögliche Fehler zu beheben ist eine Notwendigkeit, die Patagonia auch im Zusammenhang mit existenzsichernden Löhnen entlang der gesamten Lieferkette sieht: »Viele Fabriken arbeiten mit verschiedenen Menschen und verschiedenen Marken zusammen, tun also nicht immer zwingend das, was eine einzelne Marke gerne von ihnen hätte.

Wir verfolgen aber für jede Fabrik sehr genau, ob existenzsichernde Löhne bezahlt werden, und erstellen gegebenenfalls Umstellungspläne, wenn das nicht der Fall ist,« erläutert Visch in der Hoffnung auf eine Richtlinie der EU-Kommission, die Organisationen und Unternehmen für das Wohlergehen ihrer Wertschöpfungskette verantwortlich machen soll.

»Ich bin überzeugt, dass wir uns dem Ende des so genannten extraktiven Kapitalismus nähern, der auf Kosten der Gesellschaft, der Natur und anderer Menschen zum Vorteil der Stärksten betrieben wird«, ist Visch überzeugt. Entweder würden die Verbraucher es nicht mehr akzeptieren, dass die Wertschöpfungsketten, deren Teil sie ja selbst sind, ausgebeutet werden, oder die Gesetzgebung würde dafür sorgen. »Letztlich könnte das für uns tatsächlich auch ein Wettbewerbsvorteil werden.«

Gesetzliche Vorgaben für die Reduktion des Fußabdrucks sieht Visch allein schon deshalb als zwingend notwendig an, »weil sich die Unternehmen nicht selbst regulieren werden«. Selbstverständlich gebe es bereits zahlreiche positive Beispiele, »aber vielfach wird das Augenmerk nur auf zwei Fragen gelegt: Wo kaufe ich meinen Strom ein, und wie sieht es mit meinen Gebäuden und bei meiner Reisetätigkeit aus?«

sozial - ökologisch - ökonomisch

Bei 85 bis 90 Prozent der Konsumgüterunternehmen von der Kleidung bis zur Eiscreme liege der eigentliche Fußabdruck aber im Produkt selbst, »und da übernehmen viele Firmen nicht die Verantwortung mit der Begründung, es würde ja woanders, also an einer anderen Stelle der Wertschöpfungskette hergestellt«.

Allerdings will Visch im Kampf gegen die Klimakrise, die seiner Ansicht nach letztlich von »Gier und einem unbegrenzten Konsumverhalten angetrieben wird«, nicht nur Industrie und Politik, sondern auch die Verbraucher in die Pflicht nehmen.

Zu Besuch bei Patagonia

Es gibt Unternehmen, von denen wollen alle lernen. Eines dieser Vorreiterunternehmen für ökologische und soziale Verantwortung ist Patagonia. Ich habe sie in ihrem Headquarter in Ventura besucht.

»Es geht darum, den Menschen bewusst zu machen, dass sie keine vier Jacken oder zehn Paar Schuhe brauchen«, erklärt der GM den Hintergrund des legendären Patagonia-Slogans «Don’t Buy This Jacket«. »Wir bitten die Konsumenten tatsächlich, zweimal darüber nachzudenken, ob man nicht ein vorhandenes Kleidungsstück reparieren kann, weshalb wir eine lebenslange Garantie auf unsere Produkte geben und diese kostenlos instand setzen – und da sind teilweise Stücke dabei, die es schon seit 30 Jahren gibt.«

Als größte aktuelle unternehmenspolitische Herausforderungen sieht Visch bemerkenswerterweise die Klimakrise, Armut und Flüchtlingsproblematik. Er fordert »hier brauchen wir Regierungen, die die Industrie dazu zwingen, sich anders zu verhalten.«  Mit Verweis auf andere Branchen bemerkt er: »Würde man ein rein gewinnorientiertes Unternehmen aus unserer Branche nach den größten Herausforderungen der Gegenwart fragen, würden sie wohl von Lieferproblemen, Personalengpässen und Preiserhöhungen sprechen, aber die sind wohl in den Griff zu bekommen. Es ist nicht so, dass es keine Arbeit wäre, aber so kompliziert ist es auch wieder nicht. Die wirklich großen Herausforderungen sind die eben genannten«.

Ziemlich viel Anstrengung hat Patagonia offenbar auch in den Schutz eines österreichischen Gletschers gesteckt. »Vor vier oder fünf Jahren haben wir begonnen zu versuchen, den Bau einer Seilbahn (Pitztal/Sölden, Anm.) zu verhindern und dafür sogar einen eigenen Film gedreht.

Zudem haben wir die örtlichen NROs unterstützt, und vor ein paar Wochen wurde die Errichtung nun tatsächlich definitiv gestoppt«, zeigt sich Visch zufrieden.

»It’s all not rocket science«,

wie der GM gerne betont.

Mehr Hintergründe zu Patagonias Nachhaltigkeitsstrategie finden Sie in diesem Podcast-Interview mit dem Patagonia CEO Ryan Gellert. Oder in meinem Learning Journey Bericht aus 2021: »We are in business to save our home planet«.

Claudia Wintersteiger schreibt auf einem Flipchart

Claudia Wintersteiger

Begleitet Unternehmen in Transformationsprozessen. Kundenorientierte Strategieentwicklung und -umsetzung spielen dabei ebenso eine Rolle, wie die Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle und die Gestaltung von Organisationen, in der Menschen ihre Potentiale entfalten können.

c.wintersteiger@trainconsulting.eu
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