Ein Interview mit Phillip Raub

Was werden wir hinterlassen?

Das in Kalifornien ansässige Unternehmen ist spezialisiert auf nachhaltige, regionale On-Demand-Produktion von Möbeln, die bspw. aus pflanzlichen Abfällen aus der Landwirtschaft hergestellt werden und daher wiederverwertbar und kompostierbar sind.  

Im Interview sprechen Phillip und Claudia über ökologische und soziale Verantwortung, die Ambiguität von Wachstum, die Expansionspläne von Model No. in Europa und über eine nachhaltige Bewegung in den USA, wo die Wirtschaft – und nicht die Regierung – den Wandel vorantreiben. Und über die Tatsache, dass Phillip seinen Kindern in 20 Jahren erzählen möchte, dass er Teil der Lösung und nicht des Problems sein wollte.

Wir haben das Interview gekürzt. Das gesamte Interview können Sie sich über den Videolink am Ende des Artikels ansehen. Hier gehts zudem zum englischen Original-Interview.

Heute im Interview: Phillip Raub, CEO, Model No.

»95% der von uns verwendeten Materialien stammen aus der Region. Wir verwenden nur nachhaltige, umweltfreundliche und nicht toxische Materialien für unsere Produkte. Für den 3D-Druck verwenden wir pflanzliche Abfälle aus der Landwirtschaft, und alles, was wir digital mit Holz herstellen, stammt entweder aus nachhaltigem Anbau oder ist recyceltes und gerettetes Holz.«

Phillip Raub

Claudia: Du hast B8ta gegründet und bist jetzt der CEO von Model No. Was hat dich dazu gebracht dort einzusteigen?  

Phillip: Ich habe darüber nachgedacht, was meine Leidenschaften sind und was ich gerne tun würde. Dabei wurde mir klar, dass wir ein wirklich großes Konsumproblem in unserer Welt haben. Ich denke, man kann über Nachhaltigkeit und sogar über die Art der Herstellung von Produkten reden, aber letztendlich glaube ich, dass wir als Menschen in vielen Fällen einfach mehr konsumieren, als wir eigentlich brauchen.

Ich denke, es geht darum, Mittel zu finden, um bessere Produkte herzustellen, die auch länger halten. Zudem muss man auch darüber nachdenken, wie die End-of-Life-Strategie für ein Produkt aussieht. Das sind also alles Dinge, die man berücksichtigen muss, vor allem, weil die Menschen immer mehr Geld für ihr Zuhause ausgeben und immer mehr Zeit darin verbringen.

So entstand »Model No.«. Wir produzieren 3D-gedruckte und digital angefertigte Möbel. Wir produzieren alles regional für die Märkte, in denen wir tätig sind. Heute liefern wir unsere Produkte in die Vereinigten Staaten oder an Unternehmen mit Sitz in den USA, die vielleicht Niederlassungen auf der ganzen Welt haben. Und 95% der von uns verwendeten Materialien stammen aus der Region. Wir verwenden nur nachhaltige, umweltfreundliche und nicht toxische Materialien für unsere Produkte. Für den 3D-Druck verwenden wir pflanzliche Abfälle aus der Landwirtschaft, und alles, was wir digital mit Holz herstellen, stammt entweder aus nachhaltigem Anbau oder ist recyceltes und »gerettetes« Holz.

Claudia: Ich weiß, dass du ökologische Verantwortung sehr ernst nimmst. Wie sieht es mit eurer sozialen Verantwortung aus? Hast du das Gefühl, dass ihr Menschen anders behandelt? Behandelt ihr eure Lieferanten anders? Wie würdest du das beschreiben? 

Phillip: Ja, ich meine, ich habe schon immer so gearbeitet. Ich würde sagen, wir haben wirklich sehr gute Beziehungen zu unseren Lieferanten.  

In Bezug auf die soziale Verantwortung: Einer der Gründe, warum wir keine toxischen Materialien verwenden, ist, dass wir nicht noch mehr dieser toxischen Elemente auf den Markt bringen wollen. Und gleichzeitig wollen wir nicht, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Kleinfabriken diesen Stoffen ausgesetzt sind.

Wir versuchen wirklich, an die gesamte Lieferkette zu denken. Wenn man ein Unternehmen führt, versucht man, Einnahmen zu erzielen, die für das langfristige Wohlergehen des Unternehmens und für die Erfüllung der eigenen Mission rentabel sind. Gleichzeitig sind wir aber auch sehr transparent, was unsere Kosten und unser Vorgehen angeht, sodass sich unsere Lieferanten sehr wohl fühlen, weil sie wissen, wie wir unser Geschäft betreiben.

Claudia: Du hast von Überkonsum gesprochen. Ihr müsst doch auch wachsen, oder? Gleichzeitig bist du der Meinung, dass übermäßiger Konsum auch nicht gut sein kann. Wie gehst du mit dieser Zwiespältigkeit um?  

Phillip: Eine Sache, an der wir arbeiten und die wir im Laufe dieses Jahres einführen werden, ist ein so genanntes Rücknahmeprogramm. Wir sind auch im Privatkundengeschäft tätig, aber ein großer Teil unseres Geschäfts konzentriert sich auf den Unternehmenssektor. Wir haben einigen gesagt: »Lasst uns ein Rücknahmeprogramm aufbauen«. Denn alle unsere Materialien können entweder recycelt, kompostiert oder biologisch abgebaut werden. Wir haben zum Beispiel gerade einen Stuhl aus einem neuen Material namens »Celluloseacetat« hergestellt, das zu 100 % biologisch abbaubar ist.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie er biologisch abgebaut werden kann. Man kann ihn in Wasser eintauchen, man kann ihn in der Erde vergraben. Unterschiedliche Dinge brauchen unterschiedlich lange, aber die Idee ist, dass wir an einem Plan für das Nachleben von Produkten arbeiten. Ich denke, das ist etwas ganz anderes. Denn auch wenn man etwas konsumiert, wollen wir sicherstellen, dass es nicht so aussieht: »Hey, wir stellen das her, der Rest ist dein Problem.«

Wir denken darüber nach, wie der Lebenszyklus unseres Produkts aussieht und wie man ihn angemessen beenden kann. 

Claudia: Und was ist mit Reparaturen? Zum Beispiel Patagonia: Ich habe sie vor acht Jahren in der Zentrale in Ventura besucht, und damals hatten sie schon Reparaturbusse, mit denen sie quer durch die USA fuhren. Und wenn Menschen ihre Patagonia-Kleidung hinbrachten, reparierten sie diese einfach kostenlos. Ich hielt das für eine großartige Idee.

Zu Besuch bei Patagonia

Es gibt Unternehmen, von denen wollen alle lernen. Eines dieser Vorreiterunternehmen für ökologische und soziale Verantwortung ist Patagonia. Ich habe sie in ihrem Headquarter in Ventura besucht.

Phillip: Ja, ich denke, wir werden all diese Dinge in Erwägung ziehen. Im Moment sind wir als Unternehmen noch ziemlich jung, und ich denke, dass eine Reparatur eines Möbelstücks im Vergleich zum Flicken einer Jacke etwas Anderes ist. Ich glaube, wir müssen jetzt erst einmal herausfinden, wie genau das aussehen soll. Dafür habe ich noch keinen Plan, aber das ist auf jeden Fall eine Überlegung wert.  

Claudia: Gibt es Pläne, nach Europa zu kommen? 

Phillip: Irgendwann, ja. Ich meine, im Moment wollen wir noch ein paar weitere so genannte Kleinfabriken eröffnen. Das Gute an dem, was wir tun, ist, dass wir dafür nicht viel Platz brauchen. Denn wir haben keine Lagerhaltung, wir haben keine Verteilzentren. Es kommt wirklich darauf an, das Material vor Ort zu beschaffen.  

Der entscheidende Faktor dazu ist die Suche nach den richtigen Anbietern. Ich habe viel Zeit in Europa verbracht. Ich war letzten Sommer dort. Diesen Sommer werde ich wieder dort sein. Ich habe mich mit vielen verschiedenen Leuten in der EU und in Nordeuropa getroffen, der 3D-Druck spielt dort eine große Rolle. Wenn man nach Europa expandiert, muss man Einiges bedenken: Erstens braucht man Designs, die man auf diesem Markt sieht. Zweitens gibt es ein größeres Bewusstsein sowohl für die ESG als auch für Nachhaltigkeit in der Produktion. Aber ich habe mit verschiedenen Leuten in verschiedenen Ländern gesprochen, die sagten: « Stell deine nächste Mikro-Fabrik hier auf«.  

Einige unserer Lieferanten haben ihren Hauptsitz auch in Europa. Wir haben also Zugang zu allen Dingen, die für unsere Geschäfte wichtig sind. Und für mich geht es darum, sicherzustellen, dass wir uns sicher fühlen, dass wir zuerst hier in den Vereinigten Staaten ein skalierbares Modell aufgebaut haben, und erst dann werden wir in den nächsten Jahren damit beginnen, diese Infrastruktur in Europa aufzubauen.

Zeichnung der Weltkugel

Claudia: Die europäische Gesetzgebung wird im Moment sehr stark auf ESGs ausgerichtet, was eigentlich großartig ist, aber auch eine Belastung für die Unternehmen darstellt. Gleichzeitig gibt es seit Jänner das Lieferkettengesetz in Deutschland, das einen großen Einfluss auf ganz Europa hat, da die Unternehmen sich wirklich um ihre gesamte Lieferkette kümmern müssen. Sie können nicht einfach behaupten: »Wir kümmern uns um das, was wir in unserem Unternehmen tun.« Sie müssen sich wirklich darum kümmern, woher sie ihre Produkte beziehen, und sich auch damit befassen. Auch, dass es dort etwa keine Kinderarbeit oder Umweltverschmutzung gibt. Wie sieht es eigentlich in den USA mit der Gesetzgebung aus und was ist die derzeitige Meinung der Gesellschaft dazu?

Phillip: Ja, in den Vereinigten Staaten ist das aus verschiedenen Gründen sehr heikel und schwierig. Erstens denke ich, dass die ESG-Terminologie sehr breit gefächert ist, wie du bereits gesagt hast. Es gibt Umweltaspekte, aber auch soziale Aspekte. Manchmal wird das alles in einen Topf geworfen. In den Vereinigten Staaten leben über dreihundert Millionen Menschen auf einem großen geografischen Gebiet, das in vielerlei Hinsicht politisch unterschiedlich ist.

Ich denke, dass es auf staatlicher Ebene in den USA einen Vorstoß in Bezug auf einige ESG-Themen gegeben hat. Aber es gibt viele unterschiedliche Meinungen zu vielen Bereichen, so dass es in einigen Bundesstaaten zu Rückschlägen kommt. Im Allgemeinen ist eine Bewegung zu beobachten, bei der die Unternehmen die Führung übernehmen. Ich stelle immer wieder fest, dass die Unternehmen den Weg weisen, bevor die Regierung es tut, zumindest in den Vereinigten Staaten. Wo sich eine Gelegenheit bietet, setzen sich die Menschen in Bewegung, und es kommt zu Verschiebungen.  

Ich denke, in den Vereinigten Staaten gibt es definitiv mehr Bewegung bei den Unternehmen, da die Politik hier sehr zurückhaltend ist. Wir werden auch weiterhin erleben, dass Unternehmen sehr proaktiv sind und versuchen, viele Veränderungen voranzutreiben. Ich hoffe, dass dies die Dinge vorantreiben wird.  

Claudia: Wir bei Trainconsulting beraten Unternehmen und versuchen, ihnen zu helfen «schönere Organisationen« zu werden. Was ich im Moment häufig tue, ist, eine Art Safe Space zu schaffen, um über genau diese Unklarheiten in Organisationen zu sprechen. Denn die Strategie ist oft auf den Gewinn ausgerichtet. Dann kommt die Gesetzgebung ins Spiel, und dann kommen auch noch die persönlichen Werte ins Spiel, z. B. die Frage, was ich meinen Kindern erzählen möchte.

Ich habe das Gefühl, dass Organisationen viel Raum brauchen, um über diese Zweideutigkeiten zu sprechen, wenn es um die Strategie geht. Früher schien es viel einfacher zu sein. Gibt es in deinem Unternehmen auch Zweideutigkeiten?

Phillip: Nicht allzu sehr. Ich glaube, wir sind derzeit ein ziemlich kleines Unternehmen, und ich denke, zum Glück haben die meisten Leute in der Organisation sehr ähnliche Glaubenssätze und wir haben eine ähnliche Mission. 

Ich denke, dass wir mit der Eröffnung weiterer Kleinfabriken und der Beschäftigung von Mitarbeitenden aus verschiedenen Regionen schließlich eine breitere Meinungsvielfalt haben werden. Wenn wir alle das Gleiche denken, werden wir nie etwas verändern. Es ist wirklich gesund für uns, Debatten zu führen und Meinungsverschiedenheiten auszutragen, aber auf eine respektvolle Art und Weise.  

Claudia: Was willst du deinen Kindern vielleicht in zehn Jahren erzählen, wie du als Unternehmer zu einer schöneren Welt beigetragen hast? Welches Vermächtnis möchtest du hier hinterlassen? 

Phillip: Meine Kinder sind sehr neugierig. Ich habe sie immer ermutigt, viele Fragen zu stellen. Manchmal ist es eine Herausforderung für mich, wenn sie Fragen stellen, aber ich verstehe und schätze das.  

Claudia: Das klingt großartig. Aber wenn sie so neugierig sind und wenn sie dich, wenn sie 20 sind, fragen werden: »Papa, was hast du eigentlich für eine bessere Welt geleistet?«, wie wird deine Antwort dann lauten?

Ich möchte meinen Kindern sagen, dass ich ein großes Problem in der Möbelherstellung gesehen habe. Wir haben versucht, etwas zu verändern, wir haben versucht, andere Materialien zu verwenden, wir haben versucht, darüber nachzudenken, wie wir produzieren, wie wir mehr lokal produzieren und mehr nachhaltige, ungiftige Materialien verwenden. Wir haben ein Problem erkannt und versucht, es zu lösen und etwas zu verändern.  

Phillip Raub

Wir sind klein, und selbst wenn wir die Dinge anders angehen, werde ich allein nicht in der Lage sein, diesen Wandel herbeizuführen, es sei denn, die gesamte Branche beginnt, sich in eine andere Richtung zu bewegen. Ich denke, dass es wirklich andere braucht, um das zu tun. Ich möchte, dass meine Kinder wissen, dass ich, als ich ein Problem erkannt habe, versucht habe, dieses Problem auch zu lösen. Ich kann nicht alle Probleme lösen, aber ich denke, wir werden alles tun, was wir können, um etwas zu bewirken.

Welche Gedanken/Ideen sind Ihnen beim Lesen dieses Interviews in den Sinn gekommen?

Welche anderen Best-Practice-Unternehmen sollten wir uns ansehen?

Wir sind immer an Austausch interessiert. Bitte schreiben Sie uns: c.wintersteiger@trainconsulting.eu

Claudia Wintersteiger schreibt auf einem Flipchart

Claudia Wintersteiger

Begleitet Unternehmen in Transformationsprozessen. Kundenorientierte Strategieentwicklung und -umsetzung spielen dabei ebenso eine Rolle, wie die Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle und die Gestaltung von Organisationen, in der Menschen ihre Potentiale entfalten können.

c.wintersteiger@trainconsulting.eu
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