Je mehr wir das taten, desto stärker hat dies meine Sicht auf Organisationen und deren Rolle in dieser Welt verändert. Das hat mich und uns gleichermaßen inspiriert und überfordert. Immer mehr Menschen aus unserem Ökosystem haben in letzter Zeit gefragt, was solch »schöne Organisationen« tun oder unterlassen. Warum wir überhaupt zum Begriff »schön« gekommen sind, habe ich in meinem letzten Artikel »Schöne Organisationen steuern« bereits beschrieben.
Hier sind ein paar weitere Gedanken und Kriterien dazu:
Schöne Organisationen …
- arbeiten kontinuierlich an ihrem Beitrag zu einer besseren Welt (Referenz: Club of Rome: Earth for all, 2022)
- prozessieren ihre Glaubenssätze und wie diese Verhalten und Muster prägen
- streben nach Resonanz mit ihren Umwelten/mit ihrem Ökosystem
- arbeiten daran, ethisch zu produzieren (= re-generativ und sozial fair) und kaufen von / investieren in nachhaltige Partner
- basieren auf Kooperation und Dialog.
- sind nachhaltig profitabel
Starten wir mit dem ersten Kriterium:
Schöne Organisationen arbeiten kontinuierlich an ihrem Beitrag zu einer besseren Welt
Das erste Kriterium kann als Überschrift für die anderen fünf verstanden werden und umfasst den Begriff »bessere Welt«, den ich folgend der letzten Publikation des Club of Rome «Earth for all«[1]. definieren möchte. In diesem Buch habe ich die überzeugendste Beschreibung oder auch Vision einer besseren Welt und den dafür nötigen »außerordentlichen Kehrtwenden« gefunden. Die Vision dieser Bewegung sagt folgendes:
«Es ist möglich unsere Ökonomie und unsere Sozialpolitik zu redesignen, um unsere Gesellschaften auf einen Weg zu Wohlstand für alle innerhalb unserer planetarischen Grenzen zu bringen. Die fünf außerordentlichen Kehrtwenden sind Minimalerfordernisse, um Wohlstand für alle zu schaffen und unsere planetarischen Grenzen zu schützen.«
Diese fünf außerordentlichen Kehrtwenden sind konkret:
- Beendigung der Armut mit dem Ziel: BIP-Wachstumsraten von mindestens 5% für einkommensschwache Länder bis das BIP dieser Länder pro Person größer als USD 15.000 / Jahr beträgt.
- Beseitigung der eklatanten Ungleichheit mit dem Ziel: die reichsten 10% besitzen weniger als 40% der nationalen Vermögen / Einkommen.
- Ermächtigung der Frauen mit dem Ziel: volle Geschlechter-Gerechtigkeit in Bildungszugang, Bezahlung und finanzieller Sicherheit.
- Aufbau eines für Menschen und Ökosystem gesunden Nahrungsmittelsystems mit dem Ziel: ein regeneratives, nachhaltiges Ernährungssystem für alle innerhalb der planetarischen Grenzen herstellen.
- Übergang zum Einsatz sauberer Energie mit dem Ziel: Netto-Null CO2-Emissionen bis 2050.
Diese Wende unseres (ökonomischen) Systems wird alle unsere Stärken und Kraft brauchen und innerhalb der nächsten maximal 10 Jahre stattfinden müssen. Mit diesen fünf großen Transformationszielen haben Organisationen eine exzellente Basis die eigenen Ziele auch auf diese auszurichten, um eine »Erde für alle« zu ermöglichen.
Das zweite Kriterium heißt:
Schöne Organisationen prozessieren die eigenen Glaubenssätze und wie diese das eigene Verhalten und die eigenen Operationsweisen prägen.
Glaubenssätze sind vielleicht die konkreteste und fundamentalste Basis für unsere Träume. Und Treiber für unser Verhalten. Sie sind viel konkreter und nützlicher als Werte, da diese sehr universell und weit weg von uns sind.
Ganz ehrlich: wer könnte gegen Vertrauen oder Freiheit sein? Glaubenssätze sagen uns was wir tief in uns über wichtige Themen wie Natur, Gleichheit, Geld und vieles mehr denken. Sie bringen uns zu tieferer Selbstreflexion und Bewusstsein über das, was uns antreibt.
»Sokrates bot auf geniale Weise Hilfestellung für solche Reflexionsprozesse und zwang seine Gesprächspartner, sobald sie sich an Vorurteile zu klammern versuchten, in Widersprüche verwickelten oder Leerformeln produzierten, zum angestrengten Nachdenken über ihre Grundüberzeugungen, zum Ausbuchstabieren von Konsequenzen, zur Wahrhaftigkeit ihrer Äußerungen.
Sokrates sah es als seine Hauptfähigkeit an, andere dazu zu bringen, dies an sich selbst zu erkennen.« [2].
Reflexionsprozesse anzustoßen ist eine der wichtigsten Fähigkeiten in unserer Beratungspraxis. Diese Kompetenz und Praxis ist jedoch auch eine der meist benötigten in unserer Welt.
Wie sehr glauben Führungskräfte an eine größere Verantwortung von Unternehmen und ihren Mitgliedern für unser Ökosystem, die nicht nur Profitmaximierung, sondern auch positive Beiträge für ein gutes Leben für alle innerhalb der planetarischen Grenzen zu bringen hat?
Sobald wir beginnen, solche Fragen in den Organisationen offen diskutieren können und Schlüsse daraus zu ziehen, sind wir in Richtung einer besseren Welt bereits viele Schritte weiter.
Das dritte Kriterium ist:
Schöne Organisationen sind in Resonanz mit Menschen und Ökosystemen
Was meint Resonanz eigentlich? Hartmut Rosa[3] argumentiert in seinem gleichnamigen Buch, dass Menschen ein natürliches Bedürfnis nach Resonanz haben, das er als tiefe Erfahrung beschreibt, in Harmonie zu sein und mit sich und der Welt zu schwingen.
Wir alle kennen dieses Gefühl zum Beispiel aus der Musik, wenn wir mit anderen singen oder Musik hören, die tief in uns etwas zum Vibrieren, Klingen bringt. Oft vergessen wir dann sogar Zeit und Raum um uns herum.
Rosa zeigt, dass moderne Gesellschaften mit ihrem Fokus auf Wachstum, andauernder Beschleunigung und Individualisierung zu Vereinzelung und Entfremdung von sich selbst und den Umwelten führt. Dies wiederum hat zu der steigenden Desorientierung und einem Verlust von Sinn der Individuen und der Organisationen und Institutionen geführt.
Man könnte sagen, in dem wir die Verbindung zur Natur verloren haben, haben wir begonnen diese in einer nicht nachhaltigen Weise auszubeuten und entziehen uns damit im wörtlichen Sinn die Grundlage unter unseren Füßen, mit denen wir eigentlich mit dieser Erde verbunden sein sollten. Rosa bezeichnet Resonanz auch als soziales Kapital, das wir im Unterschied dazu viel zu wenig nutzen, es könnte ein, vielleicht sogar der entscheidende Produktivfaktor sein.
Es ist beinahe überall zu sehen, dass der große Bedarf an Kontakt, Verbindung, an Berührung und »berührt werden« zu mehr Verbindung und Achtsamkeit führt.
Aber Verbindung zu was genau und Achtsamkeit wofür? Wir sehen hier einen der großen Shifts in unserer Welt. Organisationen, Menschen und die Gesellschaften werden ihren Fokus, ihre Wahrnehmung verstärkt auf die Umwelten, ihr Ökosystem richten (müssen), um Natur, Biodiversität, Klima und gesellschaftliche Herausforderungen wie Geschlechtergerechtigkeit und die ökonomische und soziale Ungleichheit zu begreifen.
In Resonanz sein heißt hier, diese Phänomene präzise zu beobachten und daraufhin wirksame Strategien und Aktionen für eine bessere Welt in die eigenen Business Modelle und Strategien zu integrieren, wenn es etwa um eine faire und adäquate Vergütung oder um die Besetzung von Teams unter Berücksichtigung von Diversität geht.
Das vierte Kriterium ist:
Schöne Organisationen streben danach ethisch (= re-generativ und sozial fair) zu produzieren und kaufen von und investieren in nachhaltige Partner.
Sobald die Resonanz und das Bewusstsein angestiegen sind, werden Organisationen aufhören, die ganz konkreten Themen, wie CO2-neutral und regenerativ zu produzieren, zu leugnen oder zu vernachlässigen. D.h. nicht mehr auszubeuten, als die Erde geben kann. Sie wenden die universellen Menschenrechte an und halten soziale Standards in allen Teilen ihrer Wertschöpfungskette ein.
Da die meisten Unternehmen (und die meisten Menschen und Nationen) weit von diesem Status entfernt sind, streben sie eine ethische Produktion an, indem sie Geschäftsmodelle, Dienstleistungen und Produkte im Laufe der Zeit in Richtung zirkulärer Modelle umwandeln. Es geht nicht darum, bereits morgen am Ziel zu sein.
Wenn Resonanz und Achtsamkeit in den Unternehmen zunehmend an Bedeutung gewinnen, werden diese auch weniger die Möglichkeit von CO2-neutralem oder regenerativem Produzieren vernachlässigen und zunehmend nachhaltiger produzieren, der Erde also nicht mehr entnehmen als sie zurückgeben können.
Weil die meisten der Organisationen (ebenso wie wir Menschen und Staaten) davon noch weit entfernt sind, haben wir uns entschieden, das Streben in den Vordergrund zu stellen, die Geschäftsmodelle, Produkte und Services in Richtung einer regenerativeren Welt in den Vordergrund zu rücken, und nicht das Ziel heute bereits dort zu sein.
Wir sind nicht naiv. Es braucht Wertschätzung für Schritte, die in diese Richtung getan werden, denn Zuversicht ist eine wichtige Ressource.
Die übereinstimmende Botschaft von Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen aller Disziplinen ist, dass dieser Turnaround in den hochentwickelten Industrienationen bis etwa 2030 passieren muss, unter anderem auch, um weniger entwickelten Ländern Wachstum zu ermöglichen, um mehr Gerechtigkeit in allen Bereichen für eine »Earth for all« zu schaffen.
Noch konkreter: Jede Geschäftsstrategie sollte die Ziele und Maßnahmen regenerativer und sozial balancierter Produktion und Wertschöpfungsketten verkörpern und im täglichen Arbeitsprozess umsetzen. Entwicklungen im außen, wie die Taxonomie-Verordnung, ESG–Ziele und vieles mehr fordern das ein und unterstützen dabei. Die junge Generation macht ebenso Druck in diese Richtung und der austrocknende Arbeitsmarkt lässt diesen »Call for action« noch lauter werden.
Das fünfte Kriterium ist:
Schöne Organisationen basieren auf Kooperation und Dialog.
Dazu muss wohl nicht viel gesagt werden, nach dem sich etwa die New Work-Bewegung vor allem auch mit diesen Themen beschäftigt. Unsere Glaubenssätze zu Führung, zu Lernen oder Veränderung stehen auf dem Prüfstand. Können wir immer noch Pyramiden oder Heldenbilder als Metaphern für sinnvolles Steuern von Organisationen oder Staaten anlegen, können wir immer noch daran glauben, dass ein paar (meistens) Männer ganze Gesellschaften oder Unternehmen steuern oder herumreißen?
Diese mechanistischen Bilder werden für die Zukunft nicht mehr funktional sein. Organisationen und auch politische Institutionen brauchen heute deutlich mehr an Transparenz, mehr Dialog (und hier meinen wir nicht Information oder PR-Strategien) mit dem Ziel zu verstehen und nicht Argumente in den Ring zu werfen. Dialog, der auf Wertschätzung, Respekt und Evidenz basiert.
Wir brauchen Räume, die uns halten[4], die diesen Dialog vor allem auch über schwierige Themen möglich machen. Solche Räume sind etwa (Management-) Teammeetings, Konferenzen in denen Strategiedialoge stattfinden, Vier-Augen-Gespräch. Informelle Räume rund um Kaffeemaschinen, wo Vertrauen entstehen kann, in denen Ambiguität und Ambivalenzen Platz haben, Freude und Ängste geteilt und nicht nur Agenden, Besprechungsprotokolle mit inhaltlichen Themen abgearbeitet werden.
Diese Räume sind für Kooperation und Vertrauen unerlässlich, weil dort die oft unterschiedlichen Interessen und Notwendigkeiten in einen Dialog gebracht und entschieden werden können. Aber Achtung: Resonanz, Kooperation oder Dialog meinen nicht, in Harmonie zu leben, Konflikte zu vermeiden oder etwa die Welt durch die positive oder rosa gefärbte Brille zu sehen.
Ganz im Gegenteil. In dieser Hinsicht sind Organisationen aller Art für den Zusammenhalt und die soziale Kohäsion ganzer Gesellschaften von überragender Bedeutung. Hier kann auch über die Organisation hinaus gelernt und eingeübt werden, wie wir miteinander umgehen und wie wir unsere großen Brüche in Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft heilen wollen.
Die Funktionen von Unternehmen als Profitmaximierungs- (neoliberal/ kapitalistisch) oder Arbeitsplatzbeschaffungs- (sozialistisch) Maschinen sind am Ende.
Wenn wir zu Beginn Resonanz als einen Gamechanger ins Spiel gebracht haben, möchte ich das für organisationalen Dialog noch unterstreichen, wo es Echzeitkommunikation braucht, um transparente, nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen, damit (Eigen-)Verantwortung und Commitment entstehen können.
Das sind Phänomene, die nicht befohlen oder eingefordert, sondern von Menschen ausschließlich gewährt werden, so bald Geschichten für uns Sinn machen, Themen uns berühren oder inspirieren. Wenn wir Bedeutung haben und unsere Beiträge tatsächlich einen Unterschied machen.
Nur Organisationen, die so gebaut sind, werden in Zukunft Menschen anziehen und halten können – und nur solche Organisationen werden wir alle als Konsumenten auch schätzen.
Ein Phänomen, das nicht erzwungen werden kann, sondern nur aktiv von den Menschen gewährt wird, sobald die Arbeit für sie Sinn ergibt, sobald sie sich berührt und inspiriert fühlen, und vor allem, wenn sie das Gefühl haben, dass sie wirklich wichtig sind und etwas bewirken können.
Nur Organisationen, die auf diese Weise aufgebaut sind, werden Menschen anziehen und behalten, die sich engagieren. Und wir als Kunden werden uns nur für solche Organisationen interessieren.
Das sechste Kriterium ist:
Schöne Organisationen sind nachhaltig profitabel.
Dieses Kriterium spricht fast für sich selbst, man könnte es fast mit unserer Gesundheit vergleichen. Wir brauchen sie, um überhaupt Zugang zu unseren Potentialen zu bekommen. Nachhaltig meint hier «gebaut und designed für regeneratives und zirkuläres Wirtschaften«.
Ein Unternehmen braucht Gewinn, um in sich, seine Potentiale und in den Rahmen der Organisationen investieren zu können. Es benötigt ihn, um Interessen zu befriedigen, die eigenen Praktiken, Arbeit und Aufgaben und das Denken stetig zu innovieren und zukunftsfit zu machen. Alles andere ist nice to have.
Ich bin zutiefst überzeugt – und viele aktuelle Bewegungen und Trends unterstützen diesen Glaubenssatz – dass nur Organisationen, die Kriterien wie die hier genannten konsequent zu leben versuchen und einen sichtbaren Beitrag zu einer besseren Welt leisten, auch überleben werden.
Sie werden, wie wir alle, scheitern, Fehler machen und lernen. Was nicht geht, ist nicht zu versuchen, unser ökonomisches System zu transformieren. Nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft unserer Gesellschaften steht auf dem Spiel.
Die gute Nachricht: Es sind immer mehr bereits am Weg dorthin. Das zeigt uns:
Yes, we still can.
[1] Sandrine Dixson-Decleve et al: to the Club of Rome: Earth for all, a survival guide for our planet, oekom, 2022
[2] Hannah Arendt: Von wahrhaftigen Bürgern, DIE ZEIT Nr. 30/2016, 14. Juli 2016