Interkulturelle Kompetenz ist wichtig, sagt man. Aber was das eigentlich genau sein soll, kann einem keiner sagen. Ich versuche es trotzdem mal. Und es könnte sein, dass meine Antwort Sie überrascht.
Interkulturelle Kompetenz, ist nicht mehr das ganz große Modethema. Wahrscheinlich, weil diese ganzen »interkulturellen Trainings« eigentlich ziemlich aufwendig klingen, sich einem deren Sinn aber nur mit viel Wohlwollen erschließt, vermutlich, weil eigentlich niemand wirklich sagen kann, was diese »interkulturelle Kompetenz« eigentlich sein soll, die angeblich jeder braucht aber noch keiner irgendwo gesehen hat.
Aber wichtig ist interkulturelle Kompetenz trotzdem. Weil wir nämlich die ganze Zeit interkulturell tun. Jeder, immer. Auch Sie. Und ich sowieso.
Interkulturelle Kompetenz – Was soll das denn sein?
Sehen wir uns das also mal an. Ich behaupte: »interkulturelle Kompetenz« ist eigentlich sowas wie eine Spielform von Kommunikationskompetenz.
Und wenn wir dann noch genauer hinsehen, sieht es so aus, als würden beide Begriffe schlussendlich dasselbe bedeuten. Das darf man aber nicht laut sagen, werden Sie jetzt meinen. Aber keine Angst: ich bin Ethnologe, ich darf das.
Wenn wir nämlich wirklich verstehen wollen, warum wir Menschen aus anderen Kulturen im allerbesten Fall gar nicht verstehen (was ja im Grunde harmlos ist), viel öfter aber missverstehen (was wir meistens – und hier wird´s gefährlich – nicht bemerken!) zahlt es sich aus, sich einmal anzusehen, was die Konstruktivisten über Kommunikation sagen. Ich persönlich finde das nämlich ziemlich schlau.
Echte Wirklichkeit gibt es gar nicht
Diese Konstruktivisten sagen nämlich, dass wir eigentlich gar nicht wirklich sagen können, was die ganze Zeit um uns herum passiert, sondern uns diese Wirklichkeit in unseren Köpfen zusammenzimmern. Jeder für sich. Und jeder ein wenig anders. Klingt schräg, oder?
Und diese Konstruktionen von Wirklichkeit basieren auf unseren Annahmen über die Welt und auf Mustern, wie wir gelernt haben, wahrzunehmen und zu bewerten. Also eigentlich auf unserer Lebenserfahrung, die wir bis dahin gemacht haben. Im Kindergarten und der Schule, in der Familie, in der Arbeit und überhaupt im Leben. Die Konstruktivisten nennen das dann eine »innere Landkarte«. Auch ein ziemlich schlauer Name, weil wir diese Landkarten ja benutzen, um uns in dieser äußeren Wirklichkeit, die wir so ganz wirklich gar nicht erfassen können, nicht ständig verlaufen.
Und weil diese Landkarten so verschieden sind, verstehen die Männer die Frauen nicht, und die Inder die Deutschen nicht, die Juristen nicht die Künstler und die Arbeiter nicht die Manager.
Was heißt das jetzt für Kommunikation?
Kommunikation, sagen die Soziologen, ist aufeinander gerichtetes Verhalten von zwei oder mehr Akteuren.
Oder weniger verschraubt: Wir wollen mit dem was wir tun oder sagen, bei jemandem etwas auslösen. Eh.
Nur leider klappt das oft nicht so wie geplant. Und das ist jetzt wieder wegen dieser inneren Landkarten. Weil die halt immer so verschieden sind.
Diese Landkarten bestehen aus Werten, Grundannahmen über die Welt und so unbewussten Mustern der Wahrnehmung, der Interpretation und Bewertung.
Also eigentlich, sag ich jetzt als Ethnologe: aus Kultur. Die innere Landkarte also als ganz höchstpersönlicher, individueller kultureller Fingerabdruck.
Und was ist jetzt eigentlich Kultur?
Wenn wir die bekannteren unter den Anthropologen fragen, was Kultur ist, sagen die sowas in der Art wie: »Kultur ist die Summe an Werten, Normen und latenten Mustern und Regeln, die eine Gruppe von Menschen teilt, sowie alles Manifeste was daraus hervorgeht«.
Oder: »Kultur ist Eigentum von Gruppen. Gleichzeitig markiert Kultur die Grenze zwischen Innen und Außen einer Gruppe.«
Wenn also jede Gruppe, also jede Familie, Organisation, Berufsgruppe oder auch jede Gesellschaft eine eigene Kultur hat – mit ganz eigenen Werten, Annahmen und Mustern – dann wird es wirklich kompliziert. Weil wir sind ja immer Mitglied in ganz vielen solchen Gruppen. Und die Summe aus diesen ganzen kulturellen Mitgliedskarten ist dann unsere »Identität«.
Alles ist interkulturell
Und weil es kaum zwei Menschen gibt, die sich alle Mitgliedschaften in jeder Gruppe teilen, hat quasi jeder Mensch eine ganz höchstpersönliche kulturelle Identität. Dann ist aber eigentlich auch jede Kommunikation interkulturell. Wegen der Landkarten.
Natürlich sind die Unterschiede zwischen den Landkarten nicht immer gleich groß, je nachdem wie verschieden diese kulturellen Clubs sind, bei denen wir mitmachen. Aber ganz so wie viele jetzt tun, dass nämlich die ganz großen Unterschiede immer an den Landes- oder Sprachgrenzen verlaufen, ist es ja dann auch nicht. Das wäre ja fast zu einfach. Weil die Unterschiede zwischen Geschlechtern, Generationen, sozialen Schichten, Berufen oder Stadt und Land sind ja auch nicht ohne.
Nehmen wir zum Beispiel einen deutschen Softwareentwickler, sagen wir: Ende 30, Mittelschicht aus einer Großstadt. Hat der jetzt mit einem anderen Softwareentwickler, auch Mitte 30, auch Mittelschicht auch aus der Stadt aber von ganz woanders, sagen wir Argentinien, hat der mit dem jetzt viel oder wenig Kultur gemeinsam?
Und ist das mehr oder weniger als dieser deutsche Softwaremensch mit einer deutschen Frau gemeinsam hat, sagen wir Mitte 60, Bäuerin und lebt irgendwo am Land? Also ich trau mich das nicht sagen. Spielt ja auch keine Rolle. Weil die Schwierigkeiten, die er dabei hätte, sich wirklich verständlich zu machen, wären eigentlich dieselben.
Weil? Richtig, die Landkarten.
Wie geht also diese interkulturelle Kommunikation?
Einfacher wird Kommunikation also, wenn wir akzeptieren, dass diese Landkarten (und damit subjektive Wirklichkeiten) verschieden sind.
Und generell kommt es bei unserem Gegenüber gut an, wenn wir nicht stillschweigend voraussetzen, dass unsere eigene Landkarte richtig ist, die unserer Mitmenschen hingegen völlig schwachsinnig.
Das ist aber leichter gesagt als gedacht, weil wir die Welt ja durch unsere eigene Landkarte sehen. Und die wirkt für uns klarerweise normal und selbstverständlich. Und die Sichtweisen von anderen wirken für uns daher oft irgendwas zwischen leicht seltsam und völlig irre. Da muss man drüber.
Und dann hilft es natürlich noch, wenn wir ein wenig über die Landkarten der anderen wissen, also etwas über die wichtigen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den wichtigen Gruppen, zu denen wir uns jeweils zugehörig fühlen.
Aber ich meine nicht einfach Länderwissen. Also nicht einfach: wie tickt der Mongole oder der Texaner. Sondern auch: wie ticken eigentlich alte Menschen? Was weiß ich über die Denkweise von Juristen? Wie sehen eigentlich katholische Nonnen oder die Mitarbeiter von Ikea die Welt?
Je nachdem, welche Unterschiede halt gerade wichtig erscheinen. Natürlich können wir das nicht wissen, aber ein paar brauchbare Arbeitshypothesen helfen da oft schon ganz gut weiter, wenn man sich mal diese Fragen stellt. Oder man fragt gleich die anderen.
Fazit
Wenn das alles so wäre, dann wäre ja jede Kommunikation interkulturell. Und dann können wir »interkulturelle Kompetenz« und »Kommunikationskompetenz« gleich als ein- und dieselbe Kompetenz anschauen.
Klar, je verschiedener die Landkarten, umso mehr Kraft (und Nerven) kostet das alles, aber es lohnt sich, denn im Kern geht es doch immer um dasselbe: die Chance, einander besser zu verstehen, zu erhöhen …
Hilfreich ist es, neugierig zu bleiben, wie andere die Welt sehen und unsere eigene Sicht auf die Dinge einmal zu relativieren.
Und zwar egal, ob Sie gerade koreanische Verhandlungspartner überzeugen wollen, einen Vierjährigen ohne Drama an der Quengelstrecke der Supermarktkasse vorbeibringen wollen oder versuchen, die Welt einmal wirklich durch die Augen Ihrer Kunden zu sehen.
Schlussendlich geht es immer um diesen Tanz mit den Landkarten – um gelingende Kommunikation unter der immergleichen Voraussetzung unterschiedlicher Landkarten.