Case Story Schaeffler

Change is in the Aerospace

Der Weltmarktführer für Fluglager überwindet zwei ernste Krisen in zwei Jahren. Und stellt sich gleichzeitig für mehr Wachstum in der Zukunft neu auf.

Ruhige Zeiten hat Gustav Wenhold noch nicht erlebt, seit er Mitte 2014 die Geschäftsführung des Traditionsunternehmens FAG Aerospace am Standort Schweinfurt übernahm. Das Werk, das Lager für die Luft- und Raumfahrt produziert und sich bis auf Friedrich Fischer, den Urvater des Kugellagers zurückführen lässt, ist seit der Übernahme 2003 integraler Bestandteil der Industriesparte der Schaeffler Gruppe und beschäftigt im Aerospace-Werk rund 550 Mitarbeiter.

Das Kerngeschäft ist geprägt von hoher Produktdiversität bei relativ kleinen Stückzahlen – im Konzern eine Rarität. Viele Kennzahlen und Produktionsstandards des Konzerns passen daher nur sehr bedingt in die Logik des Aerospace Unternehmens.

Aufgrund notwendiger Effizienzsteigerungen in der Fertigung hatte die damalige Geschäftsführung im Jahr 2013 umfassende Umstrukturierungen in der Fertigung eingeleitet, in deren Rahmen von einer Werkstatt- auf eine Flussfertigung umgestellt wurde. Diese Veränderungen wurden unter minimaler Einbeziehung der Belegschaft durchgeführt und lösten große Unzufriedenheit und Unsicherheit unter den Mitarbeitern der Fertigung aus. Planungs- und Produktivitätsprobleme waren die Folge. Aufgrund der hohen Sicherheitsansprüche der Luftfahrtbranche müssen (und konnten) Qualitätsprobleme aber zu jeder Zeit ausgeschlossen werden, teilweise wieder auf Kosten von Produktivität und Rentabilität.

Zeitnah wurde eine Teamleiterstruktur eingeführt, die aufgrund von fehlenden Führungserfahrungen und Qualifizierungsmaßnahmen der Teamleiter zu Beginn wenig Wirkung zeigte.

An diesem Punkt wurde trainconsulting im Juni 2015 zu einem ersten Gespräch eingeladen, um die Stimmung in der Mannschaft zu verbessern, die Produktion solide aufzustellen und das Werk wieder auf Kurs zu bringen.

Aufgrund der hohen Komplexität fiel die Entscheidung auf ein iteratives Vorgehen, an dessen Anfang eine qualitative Organisationanalyse durch die Berater stand. Diese sollte der Führung ein klares Bild der Situation verschaffen, latente Muster in der Organisation (insbesondere in der Führung) aufzeigen und die Grundlage für weitere Schritte schaffen.

»Wir, die Mitarbeiter der FAG Aerospace übernehmen die Verantwortung, für unsere Kunden die besten Lager der Welt zu bauen.«

Die gemeinsame Vision

Durch Beteiligung aus der Krise

Das Bild, das die Analyse ergab, war ein sehr kritisches. Führungskräfte wie Mitarbeiter beschrieben die Situation als chaotisch, von gegenseitigem Misstrauen und Resignation geprägt. Es gab kein gemeinsames Bild, wie ein Weg aus der Krise aussehen konnte. Insbesondere das fehlende Vertrauen erschwerte ein gemeinsames Arbeiten an Lösungen, sowohl zwischen Führung und Mitarbeitern, als auch innerhalb der Führungsmannschaft.

Die Analyse der Berater zeigte, dass wichtige Grundlagen gelegt und wichtige Ressourcen für eine positive Zukunft vorhanden waren. Der Blick auf diese Ressourcen war aber durch die zahlreichen Alltagsprobleme völlig verstellt. Doch zwischen den Zeilen der Klagelieder waren deutliche Hinweise auf Ressourcen zu finden, die sich später im Prozess als wertvoll erweisen sollten, etwa ein ausgenommen starkes Wir-Gefühl und hohe Identifikation mit der Aerospace, hohe Flexibilität und technische Kompetenz und ein hohes Ansehen bei den Kunden.

Ab Anfang 2016 arbeitete das Management Team an einem gemeinsamen Selbstverständnis. Die Gruppe von Linienverantwortlichen sollte zu einem (Führungs-)Team werden, das gemeinsam Verantwortung für den Standort übernimmt.

Ich brauche keine Führungsmannschaft, die ich anschieben muss. Ich brauche eine Führungsmannschaft, die ich ab und zu einfangen muss.

Uwe Kaufmann, Segmentleiter Fertigung

Schon in dieser frühen Phase wurde deutlich, dass es sich bei dem beschriebenen Vorhaben im Kern um Arbeit an der Kultur handelt. Gerade die Art und Weise, wie im Unternehmen mit Verantwortung umgegangen wurde, kristallisierte sich bereits früh als erfolgskritisch heraus. Von einer Kultur der Absicherung und des Fingerpointings sollte der Weg zu mehr Selbstverantwortung, Vertrauen und mutigen Entscheidungen eingeschlagen werden.

Bereits wenige Monate später lud das Management Team alle rund 70 Führungskräfte am Standort ein, bei einer ersten Führungskonferenz gemeinsam die Vision für das Unternehmen zu gestalten. Leitprinzipien für das tägliche (Führungs-) Verhalten sowie strategische Initiativen wie zum Beispiel Kostenreduktion in der Fertigung wurden gemeinsam erarbeitet. Zu diesem Zeitpunkt ein völliger Bruch mit den gewohnten Kommunikationsmustern. Eine funktions- und hierarchieübergreifende Steuergruppe sollte sich regelmäßig treffen, um den Prozess zu reflektieren und gemeinsam mit trainconsulting Empfehlungen für weitere Schritte des Management Teams auszuarbeiten.

Kultur stärken durch Prinzipien

Die gemeinsam definierten Prinzipen Vertrauen, Verantwortung und Respekt sollten fortan als Leitschienen die Entscheidungen in der Aerospace prägen.

Die drei wichtigsten strategischen Wirkungsstoßrichtungen der Veränderung sollten sein:

  • Die Organisation, insbesondere die Fertigung, für die Anforderungen der Kunden in einem wachsenden Markt aufstellen
  • Stärken einer Kultur, die von Eigenverantwortung, Vertrauen und gegenseitigem Respekt geprägt ist
  • Stärkung der Führung in ihrer Wirkung und gemeinsame Verantwortungsübernahme

Diese drei Ziele konnten dabei nicht getrennt voneinander betrachtet oder adressiert werden. Arbeit an Kultur ist immer nur im Zusammenhang mit der strategischen Arbeit an Organisationszielen sinnvoll. Die Kultur bildet einerseits den Rahmen, der für eine Veränderung berücksichtigt werden muss. Sie ist gleichzeitig Sensor für deren Wirksamkeit und nicht selten auch deren Gegenstand, wenn tiefsitzende Muster für die Erreichung strategischer Ziele verändert werden müssen. Führung ist dafür Treiber und Trägerrakete und entscheidet nicht nur über die Ziele und den Weg der Veränderung, sondern auch über die eigenen Rahmenbedingungen. Sie hat sich selbst auch konsequent mit zu verändern.

Organisation ist Kommunikation über Arbeit

Um die Prinzipien Vertrauen, Verantwortung und Respekt erlebbar zu machen, schien es insbesondere wichtig, eine breite Beteiligung und dialogische Kommunikationsformen zu etablieren. So wurden zentrale Kommunikationsstrukturen, wie etwa die quartalsweise stattfindenden Mitarbeiter Informationsveranstaltungen, zunehmend in ein dialogisches Format gebracht, an dem Führung gemeinsam mit Mitarbeitern über die relevanten Fragen des Unternehmens diskutieren konnte.

Zentrale Initiativen setzten in weiterer Folge Schwerpunkte auf Kostenreduktion, die Neuausrichtung der Fertigung unter Einbeziehung der Mitarbeiter, ein vom Konzern eingefordertes Effizienzsteigerungsprogramm im indirekten Bereich sowie ein Qualifizierungsprogramm für alle Führungskräfte.

Außerdem wurden die Führungskräfte durch die Berater dabei unterstützt, die Eckpunkte der Veränderung in die Mannschaft zu tragen.

Schon bald zeigten sich erste, wichtige Erfolge. Kritische Kennzahlen verbesserten sich, auch die Stimmung in der Mannschaft war deutlich hoffnungsvoller. Das Management Team, das sich auch personell veränderte, wurde zunehmend als Team wahrgenommen, das eine gemeinsame Linie vertritt. In einer zweiten Führungskonferenz Ende 2016 waren ein offener Dialog mit einem Vertreter des strategisch wichtigsten Großkunden und die zunehmende Verantwortungsübernahme durch die Teamleiter emotionale Highlights. Neue Schwerpunkte und Initiativen beinhalteten eine Arbeitsgruppe für interne Kommunikation sowie eine Task Force zur Verbesserung der Arbeitssicherheit.

Wellenreiten

Doch im ersten Halbjahr 2017 war die Aufbruchsstimmung schlagartig aufs Neue belastet. Die noch immer von den Nachwehen der Reorganisation geprägte Fertigung kam mit den unerwartet hohen Auftragsständen nicht mehr mit. Die forcierte Reduzierung von Produktionsbeständen Ende 2016 verursachte Leerlauf an kritischen Maschinen.

Des Weiteren hatten im Rahmen der Effizienzsteigerungen zentrale Know-how-Träger das Unternehmen frühzeitig verlassen und machten schwerwiegende Lücken im Wissensmanagement und der Prozesssteuerung der Fertigung sichtbar. Das Wissen an neuralgischen Nahtstellen des Wertschöpfungsprozesses war quasi über Nacht herausgefallen. Das Ziel, alle Kundenaufträge zeitgerecht abzuarbeiten, schien zunächst fast unerreichbar. Schlagartig kippte die Organisation vom gemeinsamen Aufatmen zurück in den Krisenmodus. Der steigende Druck schien plötzlich im Widerspruch zu den ausgerufenen Prinzipien zu stehen. Der scheinbare Widerspruch zwischen kurzfristiger Krisenbewältigung und strategischer Neuausrichtung war aufs Neue ausgerufen, gleichzeitig stieg der Druck von außen schnell und massiv.

Alte Muster wurden wieder stärker. Gleichzeitig zeigte sich aber bereits die Schlagkraft eines geeinten Management Teams, das gemeinsam Verantwortung für die Gesamtorganisation übernimmt.

Auch der Fokus der Prozessbegleitung verlagerte sich in dieser Phase radikal auf das Erreichen der Outputziele. Das Management Team trat täglich in einem »War Room« in der Fertigung zusammen, um aktuelle Hindernisse bei der Zielerreichung vor Ort und ohne Verzögerung aus dem Weg zu räumen. »Einhaltung der Liefertreue und Qualität unter allen Umständen« war die Devise.

Gleichzeitig zeigte die Marktentwicklung, dass auch die Zukunft von massivem Wachstum der gesamten Luftfahrtbranche geprägt sein würde. Neben der kurzfristigen Zielerreichung galt es also auch, die Organisation mittel- und langfristig auf dauerhaftes Wachstum einzustellen.

Die Veränderung konnte damit auch vor dem Management-Team nicht Halt machen: Ein neuer Werksleiter (diese Funktion hatte der GF der FAG Aerospace GmbH in Personalunion inne) und eine neue Segmentleiterin verstärkten die Führung der Fertigung. Aus dem zu großen Management Team wurde ein Senior Leadership Team (SLT) aus 7 Personen herausgezogen, um noch schlagkräftiger und schneller entscheiden zu können.

Und die Übung gelang. Rückblickend ist Gustav Wenhold überzeugt: »Die Veränderungsarbeit im Jahr davor hat uns überhaupt erst in die Lage versetzt, diese Herausforderungen bewältigen zu können.« In einem Fotofinish gelang im Dezember 2017 die Punktlandung.

Alles hat ein Ende nur der Change hat keins

Zu Jahresbeginn 2018 entschieden das Senior Leadership Team und die Beratung nun die letzte Phase der Veränderung einzuleiten: die erfolgreiche Veränderung in eine selbsttragende Nachhaltigkeit zu führen und gleichzeitig die externe Begleitung möglichst bald ausklingen zu lassen. In einem der letzten Meetings mit dem Senior Leadership Team wurde der Grad reflektiert, zu dem die ausgelobten Prinzipien in der täglichen Arbeit erlebbar sind. Das Ausmaß, in dem dies der Fall war, machte deutlich: Arbeit an Kultur geht. Und mit Blick auf die Zahlen: Arbeit an Kultur lohnt sich auch ökonomisch.

Eine Abschlusskonferenz im April 2018 sollte diese Erfolge würdigen, gleichzeitig aber auch zeigen, dass der Weg der Veränderung trotz des Abschlusses des Projektes weiter geht. Nun aber getragen von einer gestärkten Führungsmannschaft, die respekt- und vertrauensvoll zusammenarbeitet und Verantwortung für ihre Aerospace übernimmt.

FACTS & FIGURES

  • 2,5 Jahre externe Begleitung
  • 1 qualitative Organisationsanalyse mit 7 Einzel- und Gruppeninterviews, inhalts-, sequenz- und systemanalytische Auswertung
  • 2 Management-Team Offsites
  • 16 Meetings mit dem Managament Team bzw Senior Leadership Team
  • 10 Steuergruppenmeetings
  • 8 Führungstrainings (2 Module für alle Führungskräfte) «Führung in Veränderung«
  • 4 Führungskonferenzen mit allen Führungskräften
  • 1 »Markttag« zum Veränderungsprozess für alle Mitarbeiter
  • 2 begleitete Action Learning Teams (Kommunikation und Arbeitssicherheit)

DIE HAUPTSTOSSRICHTUNGEN DER KULTURVERÄNDERUNG

  • Von Command-and-Control zu selbstverantwortlichem Handeln
  • Von Top-Down-Information zu Dialog in der Organisation, von sternförmiger Kommunikation zu Dialog
  • Von Kontrolle zu Vertrauen und positiver Unterstellung
  • Von Führung als Einzelleistung zu Führung als Funktion im System
  • Von Fokus auf Fehler zu Fokus auf Potenziale
  • Von Innensicht zu Außensicht, die den Kunden im Fokus hat
  • Von vielen, starren Regeln zu wenigen, klaren Prinzipien
  • Von der Silo-Logik zu einer gemeinsamen Verantwortung

Portrait von Johannes Köpl vor einem Flipchart

Johannes Köpl

Begleitung von Veränderungsprozessen, Training und Beratung zu Fragen des interkulturellen Managements, Organisationskulturanalysen und Beratung zu organisationskulturellen Fragen, Trainings im Rahmen von Qualifizierungsprogrammen, Beratung in den Bereichen strategisches Personalmanagement, Personal- und Organisationsentwicklung, Begleitung von Teamentwicklungsprozessen

j.koepl@trainconsulting.eu
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