Erkenntnisse aus zwei Pandemie-Jahren

Leadership Development remote – Potenziale und Grenzen

Wir haben mit vielen Kund:innen Leadership Development-Initiativen designt und durchgeführt – auch in den beiden Pandemie-Jahren. Vor allem zu Beginn hatte der Umstieg auf remote Experimentcharakter: Wir wollen hier einige Insights teilen und Beispiele, Beobachtungen sowie Schlussfolgerungen beschreiben.

Case Story 1

Ein Auftrag zu Leadership Development mit Top-Führungskräften eines österreichischen Infrastrukturunternehmens, das selbst gerade einen grundlegenden Transformationsprozess durchläuft. Dafür braucht es ein starkes Managementteam, das die Veränderung nicht nur mitträgt, sondern sie kompetent und sicher steuert.  Und ein Leadership-Programm, das die geplanten Veränderungen integriert und unterstützt.

Damit Unternehmenssteuerung und die Entwicklung des Business nicht als etwas Getrenntes wahrgenommen werden, haben wir die Arbeit mit Führung eng mit dem Unternehmensentwicklungsprozesses verknüpft. Und die Führungskräfte in Form einer repräsentativen Steuergruppe in die Entwicklung einbezogen. HR orchestriert diesen Prozess bis heute.

Dann ging es los mit Corona, Lockdowns und Unsicherheit. Der Start konnte noch in Präsenz stattfinden. Dann haben wir uns miteinander auf das Experiment eingelassen, das Training rein remote umzusetzen. Im Sommer 2020 wurde kurzfristig ein Modul zum Thema »Führen und Homeoffice« angeboten. Von Anfang an haben wir Dialog gefördert, zwischen den Modulen analoge Elemente integriert sowie kleinere Gruppen zu Learning Journeys animiert. Die Arbeitszeiten in den Trainings lagen meist bei drei Blöcken mit ausreichend Pausen dazwischen. Zuviel Inhalt in die Module zu packen hat sich rasch gerächt und uns zu Fokussierung und Schärfung gezwungen: »Was ist wirklich wichtig?«

Zeichnung von Menschen, die mit anderen Menschen über gerade Linien verbunden sind
Zeichnung der Weltkugel

Case Story 2

Ähnliche Erfahrungen machten wir auch im Leadership Development eines weltweit tätigen Automobilzulieferers. Im Unterschied zu oben beschriebenem Prozess absolvieren hier die Führungskräfte kein durchgehendes gemeinsames Programm. Sie buchen genau jenes Modul, das sie für ihre Entwicklung brauchen. Die Module orientieren sich am individuellen Entwicklungsbedarf und an aktuellen Herausforderungen. Ursprünglich waren alle Trainings im Präsenzsetting, in der Dauer von zwei oder drei Tagen geplant.

Mit Ausbruch der Pandemie wurden die Angebote für Führungskräfte von Präsenz auf online umgestellt. Ziel war es nicht, die Trainings einfach in virtuelle Formate zu übersetzen. Wir hatten uns vorgenommen, die Chance des virtuellen Arbeitens auszureizen – entspricht die Form doch einem global agierenden Konzern besonders. So wurde aus einem klassischen Zwei-Tages Training ein Lernprozess über mehrere Wochen, der den Transfer in die Praxis fördert. Außerdem arbeiten so Menschen aus verschiedeneren Kulturen zusammen, es entsteht wirklich globale Vernetzung. Die Trainings wurden auf acht Wochen gestreckt: Anstatt zwei Tage durchgehend zu arbeiten, wählten wir die Form von vier Halbtagesmodulen in zweiwöchentlichem Rhythmus. Auch haben wir analoge Elemente in Form von Peergroups der Teilnehmer:innen geschaffen.

Case Story 3

Als im Lauf des ersten Pandemiejahres klar war, dass es kein »Zurück zum alten Normal« geben wird, beschloss ein Großhandelsunternehmen, die Führungskräfte im Entwickeln von Skills im remote Leadership zu unterstützen. Großteils gab es auch hier wenig Erfahrung im Umgang mit Online-Tools und eine abwartend-skeptische Haltung zu remote work. Führungskräfte konnten zwar an Online-Meetings teilnehmen, hatten aber kein Bild, wie sie Kommunikation in und zwischen ihren Teams virtuell gestalten könnten. So tendierten sie dazu, vor allem heikle Themen nicht anzusprechen und auf spätere persönliche Treffen zu verschieben.

Wir entwickelten drei halbtägige Module zu den Themen Grundlagen und Prinzipien zu virtueller Führung, wirksame Online-Kommunikation gestalten und Umgang mit Spannungen und Konflikten im virtuellen Raum. Die Gruppen waren gleichbleibend – so konnte sich eine vertrauensvolle, offene Diskussionskultur etablieren.

Erkenntnisse aus den Use Cases: Was kann Leadership Development remote?

Es geht viel mehr als man glaubt

Die Teilnehmenden haben sich von Anfang an auf den Umstieg auf virtuell eingelassen. Manche taten sich dabei leichter als andere – aber allen war klar, dass virtuell die einzige Option ist, um Kommunikation und damit auch das eigene Business aufrechtzuhalten. Das Engagement, mit dem wichtige Themen und Fragen diskutiert wurden, war beeindruckend.

Besonders für Führungskräfte, die remote work skeptisch, ablehnend oder unsicher gegenüberstehen, sind gut designte virtuelle Workshopsettings wichtig. Sie finden hier einen Raum für Kommunikation und gewinnen im Austausch neue Blickwinkel. Gleichzeitig erweitern sie Ihr Handlungsrepertoire, indem sie selbst gute Erfahrungen mit virtuellen Settings machen. Es muss nicht jede und jeder ein Fan von remote werden – aber Führung muss auch virtuell Kommunikation gestalten können – einfach um wirkungsvoll zu bleiben.

Es wird effizienter – die Settings verändern sich massiv

Aus einem einmaligen Lern-Event wird ein Prozess mit konzentrierten Impulsen, Transferphasen und echten Pausen. Für die Gestalter:innen von Meetings und Workshops wird es strukturierter und aufwändiger. Damit online inspirierendes und wirksames Arbeiten gelingt, braucht es deutlich intensivere und andere Vorbereitung als in Präsenz: Vorbereiten von knappen Präsentationen, sehr genaue Anleitung für Gruppenarbeiten, Collaboration Boards, technische Fitness mit den angewandten Tools etc. Vor allem die Bedeutung, mithilfe kurzer Check in und Check out Sequenzen überhaupt in Kontakt zu kommen, war vielen Führungskräften nicht bewusst.

Die Zeit-Effizienz steigt deutlich: pünktlicher Beginn, kein »Rumgockeln« bis es losgehen kann, mit sehr fokussierten Inhalten die Aufmerksamkeitsspanne halten. Eine schöne Transferübung für Führung: Wie lassen sich diese Vorteile der virtuellen Arbeit in Präsenzmeetings und Kommunikation einflechten?

Designgruppe als wichtiger Erfolgsfaktor

Führung ist für die Gestaltung der Organisation verantwortlich und gestaltet daher auch ihre eigene Entwicklung. Führungskräfte kennen »ihren Markt« und ihre Herausforderungen meist sehr genau. Deshalb bewährt sich das Feintuning mit einer kleinen repräsentativen Designgruppe immer wieder. Führung kann so in die Verantwortung für die eigene Entwicklung gehen. Angebote treffen den Punkt zwischen Anschlussfähigkeit und Lernchance und werden so besser in der Organisation wirksam. Und das gilt keineswegs nur für virtuelle Settings.

In unseren Beispielen zeigt sich, dass Mitglieder einer Querschnittgruppe beim Designen und Feintunen lernen und so zu Multiplikator:innen auf ihrer Peer-Ebene werden. Vorbehalte gegenüber virtuellen Arbeitsformen, flexibler Arbeitsgestaltung, dem Verwenden von White Boards, Kamera und Break out Sessions werden besprechbar, relativieren sich dadurch und binden nicht so viel Abwehr-Energie.

Proaktive HR-Arbeit unterstützt Unternehmenssteuerung spürbar

Selten hat sich so unmittelbar wie in dieser Krise gezeigt, was professionelle HR-Arbeit leisten kann. Der wache Blick auf die Herausforderungen der Organisation hat dazu geführt, dass Führungskräfte im Umgang mit neuen Kommunikationsanforderungen nicht sich selbst überlassen waren. Hier konnten HR-Abteilungen punkten, wie schon lange nicht.

Learning by remote doing auf der einen – ein gezieltes fokussiertes Angebot, um rasch die nötigen Skills zu erwerben auf der anderen Seite haben Sicherheit geboten und gemeinsames Lernen gestärkt.

Die brennenden Fragen vieler Führungskräfte in diesem Feld waren: Wie umgehen mit der Gestaltung von Kommunikation? Wie geht Führen, wenn man niemanden mehr sieht? Gestalten von Meetings mit Dialog trotz remote?

Genau hier war HR starker Partner für Führung und weitab von der Zuschreibung »soft facts« oder »Orchideenthema«.

Wo liegen die Grenzen? Und was hilft?

Der Fokus verlagert sich klar auf Inhalte – soziale Aspekte und Austausch zwischen Abteilungen leiden

Das ist die zweite Seite der Medaille: Effizienz und Fokussierung steigen. Die Dynamiken auf Gruppen- und Personenebene sind schwieriger zu erkennen und zu beeinflussen. Zwischentöne gehen verloren, vor allem wenn sich eine »Kamera-aus-Kultur« etabliert hat.

Spätestens wenn es um Klärungen auf sozialer Ebene, kreatives Arbeiten und Innovation geht, empfehlen wir Präsenztermine, wann immer möglich. Führungskräfte beschreiben zunehmend ein Auseinanderbrechen von Teams, weil der persönliche Kontakt zu lange fehlt. Als ersten Schritt empfehlen wir, diese Beobachtung im Team zu thematisieren. Und die Frage zu stellen, ob es tatsächlich der fehlende Kontakt ist, der das Teamgefüge instabil macht. Auch andere Erklärungen wie Dauerüberlastung, zu wenig gemeinsames Bild oder einfach zu wenig Sozialkontakte wären denkbar – und verlangen nach unterschiedlichen Reaktionen. Auch solche Phänomene sind ein wichtiges Element in Leadership Development.

Demgegenüber stehen Erfahrungen von Unternehmen, die von vornherein auf 100% remote Arbeit ausgerichtet sind. Jedoch machen sich gerade CEOs solcher Unternehmen intensiv darüber Gedanken, wie Sie Austausch zwischen den Silos schaffen. Wieviel Gemeinsamkeit und gemeinsames Bild es braucht und wie sie das herstellen können.

Nur online ist auch für virtuelles Leadership Development zu wenig

Das Integrieren analoger Elemente im Online Leadership-Development hilft.

Im ersten Case war irgendwann »die Luft draußen« und es wurde klar, dass ein online Abschlussevent für niemanden mehr eine reizvolle Option ist. Daher wurde dieser Abschluss auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, an dem Treffen der Führungskräfte wieder in »3D« möglich waren. Hier haben wir Learning Journeys in kleinen Gruppen eingerichtet, die mit viel Engagement und Neugierde ausgeschwärmt sind, um sich neue Inspirationen zu holen. Im zweiten Beispiel sind es die Peergroups, die die Teilnehmenden auch abseits vom Trainingsgeschehen verbinden und Kontaktpunkte darstellen. In allen drei Cases sind es die gemeinsamen Fallarbeiten in Kleingruppen, die die Unternehmensrealität unmittelbar ins Training holen.

Weiters: Schreib-Sessions mit Papier und Stift, die Vorbereitung von Kreativmaterial zu Hause, oder das Zusenden von schön designten Arbeitsmaterialien vorab bringen Abwechslung, machen Lust aufs Mitmachen.

Resümee

Führung bedeutet Kommunikation. Zentrale Aufgabe von Führungskräften ist es, Kommunikation zu gestalten. Auf der organisationalen sowie auf der sozialen Ebene. Die technischen Möglichkeiten für Kommunikation und Lernen sind enorm – Führungskräfte brauchen dafür die notwendigen Skills und müssen Prinzipien von remote work kennen oder online Meetings ganz bewusst designen können – einfach um in ihrer Rolle wirksam zu bleiben. Gleichzeitig braucht Lernen und Entwicklung Feedback, Emotionen und Zwischentöne – echten Kontakt. Eine Erkenntnis zum digitalen Raum: Inhaltlich wurde an vielen wichtigen Fragen gearbeitet, aber wir sind sicher, dass der ursprüngliche Gedanke, die Führungscommunity in den Lernsettings zu stärken, nur bedingt möglich war. Um im Leadership Development individuelles Lernen UND Communitybuilding zu ermöglichen, braucht es die geschickte Kombination dieser Optionen. Dann entstehen tatsächlich aus »in den Weg gelegten Steinen« attraktive und wirksame Entwicklungsformen.

Portrait von Susanna Achleitner

Susanna Achleitner

Organisationsberaterin, Führungskräftecoaching zu Leadership und Change, langjährige Erfahrung als Führungskraft, Expertin für Leadership & Leadership Development

s.achleitner@trainconsulting.eu
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