KENNEN SIE DAS TETRALEMMA?
Das ist ein Modell, das von Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd für systemische Strukturaufstellungen entwickelt wurde. Das Tetralemma soll bei einem »Dilemma«, also der Auswahl zwischen zwei nicht optimalen Alternativen, den Handlungsspielraum erweitern. Das Tetralemma ergänzt diesen zwei Optionen, dem »Entweder-oder«, zwei weitere Felder:
- Das Feld »sowohl als auch«, das Möglichkeiten sucht, in der sich beide Optionen wiederspiegeln.
- Das Feld »weder noch«, in dem keine der beiden Optionen, sondern etwas ganz anderes angedacht wird.
Vom Dilemma zum Tetralemma
der globalen Führungsentwicklung:
Das Tetralemma ergänzt die beiden »Das eine – Das andere«-Entscheidungen um zwei weitere Felder:
1) Das Feld »Sowohl als auch«, in dem nach Möglichkeiten gesucht wird, die beide Optionen kombinieren.
2) Das Feld »weder noch«, in dem keine der beiden Optionen in Betracht gezogen wird, sondern etwas völlig anderes.
DAS DILEMMA GLOBALER FÜHRUNGSENTWICKLUNG
Vor so einem Dilemma zweier suboptimaler Alternativen stehen etwa Personalentwickler:innen in internationalen Unternehmen häufig, wenn es um die Ausgestaltung der globalen Führungskräfteentwicklung geht. Entweder wird die Führungsentwicklung zentral vom Headquarter aus konzipiert und abgewickelt. Dann folgen häufig Klagen aus den Regionen, die sich mehr lokale Anpassung und Mitsprache wünschen, denen die Angebote am lokalen Bedarf vorbei gehen oder die ihre speziellen Wünsche und Anforderungen in der Abwicklung nicht berücksichtigt sehen.
Oder die Führungsentwicklung wird dezentral, in den Standorten und Regionen, abgewickelt. Dann bekommt jeder Standort, was er sich wünscht, es ist dann aber oft nur schwer möglich, gemeinsame Bilder zu so zentralen Fragen wie Change Management, Mitarbeiter:innen Entwicklung oder dem Selbstverständnis von Führung entstehen zu lassen.
Vor solchen Fragen stand im Jahr 2019 auch der globale Automobilzulieferer ZF mit Sitz in Deutschland. Entweder gemeinsame Bilder zu den zentralen Fragen der Führung global absichern oder lokalen Bedürfnissen und Anforderungen an Führungsentwicklung Rechnung tragen. Ein »weder-noch« erscheint hier naturgemäß wenig sinnvoll, wie aber könnte ein »sowohl als auch« aussehen?
WIR BRAUCHEN BEIDE OPTIONEN
David Kling, Projektleiter und Experte im globalen Führungsentwicklungsteam bei ZF erinnert sich: »Klar war, dass vielen Ländern lokale Trainer:innen, die in der Landessprache arbeiten, ebenso wichtig sind, wie lokale Lernformen. In Deutschland arbeiten Trainer:innen etwa oft mit Fallarbeiten an ganz konkreten und aktuellen Herausforderungen der Führungskräfte.«
In Indien sind die Führungskräfte hingegen kaum gewohnt vor der Gruppe über ungelöste Herausforderungen zu sprechen. Trainer:innen in Indien arbeiten viel eher mit gut vorbereiteten und an die Zielgruppe angepassten Case Studies. In manchen Ländern erwarten die Teilnehmenden eher frontalen Unterricht und klare Empfehlungen der Trainer:innen, in wieder anderen sind Trainer:innen oft eher in der Rolle der Impulsgebenden und der Moderation von einem Prozess des Voneinander-Lernens und arbeiten mehr mit den Erfahrungen der Teilnehmenden.
Gleichzeitig stand ZF vor wichtigen strategischen Fragen, die nur global lösbar sind. In diesem Licht war die Bedeutung eines gemeinsamen Verständnisses von elementaren Führungsaufgaben wie dem Umgang mit Transformation und Komplexität oder der Rolle von Führungskräften als Coaches ihrer Mitarbeiter:innen besonders wichtig.
»Wir mussten also einen Ansatz entwickeln, der diese beiden Ansprüche verbindet«, sagt David Kling.
ZF Friedrichshafen AG im Überblick (2023):
- 168.700 Mitarbeiter:innen
- 46.6 Milliarden Euro Umsatz
- 162 Produktionsstandorte in 31 Ländern
Gegründet 1915 in Friedrichshafen am Bodensee. Die ZF Friedrichshafen AG ist ein weltweit tätiges Technologieunternehmen für zukunftsweisende Produkte und Mobilität-Systeme.
DIE ENTWICKLUNG DER TRAININGS
Das Ziel war also Trainings zu erarbeiten, die gemeinsame Modelle und Haltungen vermitteln, aber von lokalen Trainer:innen in Landessprache und nach lokalen Trainingsstandards vermittelt werden.
»Das haben wir uns nicht leicht gemacht. Wir haben etwa in Workshops mit Vertreter:innen aus allen Regionen gemeinsam die Inhalte abgestimmt, um die lokalen und regionalen Bedarfe gut abzudecken. Am Ende haben wir dann zentrale Modelle und Instrumente definiert, die, bei aller Freiheit in der Ausgestaltung, in den Trainings vermittelt werden sollen«, denkt David Kling an die ersten Schritte zurück. Die Themen wurden priorisiert und auf mehrere Anbieter verteilt, einer davon Trainconsulting aus Wien.
»Wir haben seit über 10 Jahren immer wieder mit Trainconsulting gearbeitet, insbesondere in Veränderungsprozessen. Gerade bei Themen wie Change Management oder der Vermittlung von Coaching-Kompetenzen für Führungskräfte, war uns wichtig mit Praktiker:innen zusammenzuarbeiten, die selbst tagtäglich Veränderungsprozesse gestalten.«
David Kling: Projekt Manager und Experte Führungsentwicklung, ZF
»Wir mussten einen Ansatz entwickeln, der lokale und globale Anforderungen miteinander verbindet.«
TRAINER:INNEN IN ALLER WELT FINDEN
Projektleiter auf der Seite von Trainconsulting war Johannes Köpl, der mit einem Schmunzeln an die ersten Schritte zurückdenkt. »Zunächst ging es ja damals um Europa. Als mich David Kling gefragt hat, ob wir kompetente Trainerinnen und Trainer in Portugal, Italien, Spanien, Tschechien oder Polen haben dachte ich mir: Nein, aber ich finde die richtigen Leute und wir entwickeln für euch mit ihnen die Trainings, die ihr braucht. Das war eine spannende Anfrage. Hätte er gleich damals von Indien, China, Malaysien, Mexiko und Brasilien gesprochen, hätte ich vielleicht gezögert, ob wir das hinbekommen.«
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
Doch planbare Zeiten sollten diesem Vorhaben ohnehin nicht gegönnt sein. 2019 entwickelte Johannes Köpl mit David Kling die ersten zwei Trainingsmodule: »Change Management for Leaders« und »Coaching Competence for Leaders« als 3- bzw 2-tägige Präsenztrainings. Johannes Köpl holte in 10 verschiedenen Ländern Trainer:innen mit systemischem Hintergrund in das Projekt, die in Wien zu einem gemeinsamen Weiterentwickeln der Trainings zusammenkamen.
Die Trainer:innen erarbeiten ein gemeinsames Verständnis der zentralen Modelle und Zielsetzungen der Trainings. Wichtig war gleichzeitig, dass alle Trainer:innen ihre eigenen Arbeitsweisen gut integrieren und die in ihren Ländern üblichen und gewünschten Trainingsmethoden in die Workshopsdesigns einbauen konnten.
»Wir haben da ja mit sehr erfahrenen und exzellenten Trainer:innen gearbeitet. Die kann ich ja schlecht bitten, mein Workshopdesign vom Blatt zu singen. Das hätte auch keinen Sinn gehabt. Die sollen ja ihre Stärken und Erfahrungen auch einbringen können. Das musste also jeder von denen mal zu seinen oder ihren eigenen Trainings machen und an die lokalen Anforderungen anpassen. Mein Job war es, gleichzeitig darauf zu achten, dass die Lernziele überall erhalten bleiben.«
Für Anfang 2020 war alles startklar.
»Lassen Sie sich nicht von dem eingrenzen, was Sie bereits getan haben.«
Johannes Köpl: Berater und Partner, Trainconsulting
… DANN KAM CORONA
»Klar, das war enttäuschend, da steckte viel Herzblut in diesem Projekt. Aber so ging es uns ja mit vielen Projekten«, sagt Johannes Köpl. 2020 fand keines der geplanten Trainings statt. Aber die Vorarbeit sollte nicht umsonst sein. Als 2021 die ersten Länder im ZF-Konzern wieder aus der Krise herausfanden, sollte es nicht ein europäisches Land sein, das zuerst wieder Bedarf an Führungsentwicklung anmeldete, sondern Indien.
Doch wie alles, mussten auch die Trainings in virtuelle Formate umgedacht werden. Aus den 2- bis 3-tägigen Präsenztrainings wurden jeweils Prozesse aus 4 moderierten Modulen mit Peer-Groups und Transferaufgaben. Wir wollten damals keine virtuelle Kopie der ursprünglichen Trainings machen, sondern die Vorteile des dislozierten Arbeitens nutzen und ZF etwas bieten, das denselben Lernerfolg bietet«, erinnert sich Johannes Köpl. »Aber wir haben dabei auch viel gelernt, was man vermeiden sollte: Nachdem die Trainings etwa auf Englisch waren, sind wir damals mit englischsprachigen Trainer:innen aus Europa in die Umsetzung gegangen. Das würden wir heute nicht mehr tun, denn es war gar nicht einfach, aus einer europäischen Praxis heraus, die Erwartungen der indischen Gruppen gut zu erfüllen.«
In den Jahren 2021 und 2022 wurde das Projekt in diesen virtuellen Formaten weltweit angeboten, jedoch aufgrund des noch reduzierten Bedarfes zunächst nur in deutscher und englischer Sprache. Und es kamen zwei weitere Trainings dazu: »Conflict Management und Difficult Leadership Situations« und »Leading in Complexity«.
SEASON TWO
Ein zweiter Anlauf
Im Jahr 2023 waren dann endlich Präsenztrainings vor Ort wieder möglich und der Bedarf danach war groß. So wurde das ursprüngliche Vorhaben, alle Trainings in Landessprache und durch lokale Trainer:innen abzuwickeln wieder aufgenommen. Diesmal aber weltweit: für China, Indien, Malaysia, Mexiko, Brasilien und die USA mussten geeignete Trainerinnen und Trainer gesucht werden.
»Da hat uns natürlich sowohl die Erfahrung von der ersten Suche in Europa viel geholfen, aber auch das dadurch entstandene internationale Netzwerk hat es eigentlich überraschend einfach gemacht, hier ein globales Team auf die Beine zu stellen«, erzählt Johannes Köpl.
»Auch wenn das schwierige Marktumfeld dazu geführt hat, dass wir 2023 schlussendlich weniger Trainings abgewickelt haben, als wir zunächst geplant hatten, hat sich doch gezeigt, dass das Konzept das Richtige war«, zeigt sich David Kling zufrieden.
»Die Trainings sind sehr gut angekommen. Und wo es etwas zu ändern gab, hatten wir ja mit Johannes Köpl einen zentralen Ansprechpartner, der sich darum gekümmert hat, dass wir das Projekt immer weiterentwickelten und neue Erfahrungen nutzen und integrieren konnten. Das ist eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit, wo beide Seiten auch Dinge ansprechen konnten, die vielleicht schwierig waren. Und für die Regionen war es eine enorme Entlastung, dass wir die gesamte Administration der Trainings in unserem LMS zentral übernommen haben.«
Derzeit regiert bei ZF, wie bei vielen in der Autozulieferindustrie, wieder der Sparstift, was die Planung für 2024 schwierig macht. Doch auch dafür ist das Setup des Projekts gut aufgesetzt. »Wir sind da völlig entspannt«, sagt Johannes Köpl. »Wir haben in den letzten Jahren gelernt, dass wir, auch unter sich ändernden Bedingungen, die Wünsche von ZF gut erfüllen können.
Auch wenn sie Dinge erfordern, die wir noch nicht haben oder Personen, die wir noch nicht kennen. Wir entwickeln das schrittweise gemeinsam in einer Co-Kreation. Wenn man dabei offen miteinander ist und auch sagt, was vielleicht eine gewisse Vorlaufzeit erfordert, dann ist da sehr vieles möglich.
Und inzwischen ergeben sich auch völlig neue Anfragen bei anderen Kunden. Trainconsulting hat, stark getrieben durch dieses Projekt, dieses internationale Netzwerk ja bereits aufgebaut und daraus haben sich spannende Projekte ergeben, die wir sonst gar nicht hätten anbieten können.
Wir können heute wirklich sagen: Wir können die Dinge, die wir können, mit etwas Vorlauf weltweit anbieten ohne selbst um die Welt fliegen zu müssen. Wir arbeiten und denken heute viel mehr in internationalen Netzwerken und das ZF-Projekt hat das massiv beschleunigt.« Am Ende ist das »Sowohl-als-Auch« des Tetralemma also für ZF ein gangbarer Weg aus dem Dilemma zwischen zentraler und dezentraler Steuerung geworden.
UNSERE LEARNINGS
Was würden die beiden Projektleiter nach 4 Jahren anderen empfehlen, die über ähnliche Wege nachdenken?
»Es braucht Vertrauen und Klartext in der Zusammenarbeit«, streicht David Kling die Kooperation auf Projektleiterebene heraus. »Wir waren laufend im Austausch und haben dabei sehr offen ausgesprochen, was jede Seite von der anderen braucht. Diese vertrauensvolle und offene Zusammenarbeit hat das Projekt gut durch schwierige Phasen getragen.«
Ähnlich sieht das auch Johannes Köpl: »Absolut. Natürlich kommt es bei einem Projekt dieser Dimension auch zu herausfordernden Situationen. Aber genau diese gemeinsam zu meistern, dabei offen über die eigenen Notwendigkeiten zu sprechen und Verständnis für den anderen zu zeigen, hat diese Zusammenarbeit immer stärker gemacht.«
Der Führungsdiamant zeigt die einzelnen Aufgaben und Prinzipien.
Und was würde Johannes Köpl anderen Anbietern raten, die vor ähnlichen Situationen stehen? »Sich nicht davon begrenzen lassen, was man schon gemacht hat oder was jetzt schon möglich ist. Sondern überlegen, wie es sein soll und dann schrittweise dorthin entwickeln. Dass wir als österreichisches 20-Personen-Unternehmen hochwertige systemische Trainings in vier Kontinenten und in über 10 Sprachen anbieten können, hätten wir vor ein paar Jahren selbst nicht gewusst. Da darf man sich einfach nicht von den eigenen Annahmen begrenzen lassen.«
UNSERE GEMEINSAME ARBEIT IN DEN LETZTEN 5 JAHREN
– 2018: Vorbereitende Arbeiten bei ZF, Bedarfsermittlung und inhaltliche Abstimmung mit den Regionen | – Ende 2020: Übersetzung der Ausbildung in virtuelle Lernformate |
– Erste Hälfte 2019: Auswahlverfahren für Trainingsanbieter | – Ab März 2021: Virtuelles Training weltweit auf Deutsch und Englisch |
– April 2019: Anfrage an Trainconsulting | – Ab Mitte-2021: Auswahl und Koordination mit Ausbilder:innen in den USA, Mexiko, Brasilien, China, Indien und Malaysia |
– Juli 2019: Ergänzung für die ersten zwei Ausbildungsmodule für Europa | – Ab März 2022: Virtuelles Training weltweit in lokalen Sprachen nach Bedarf (fortlaufend) |
– Mai 2019-Januar 2020: Auswahl und Koordination mit europäischen Coaches | – September 2022: Erstes persönliches Training (in Portugal) |
– April 2020: Geplanter Beginn der Ausbildung in Europa (aufgrund von Corona abgesagt) | – Ab April 2023: Face-to-Face-Schulungen weltweit in der Landessprache (laufend) |