Trainconsulting Geschäftsführer und Unternehmensberater Lothar Wenzl und Journalistin, Autorin und bekennende Feministin Mari Lang sprechen in dieser Folge von »Die Schöne und das Biest. Warum schöne Organisationen die Welt verändern« mit Bettina Ludwig. Die Kulturanthropologin und Keynote-Speakerin bringt mit ihren Forschungen und ihrer Arbeit die Themen Zugehörigkeit, Mitgefühl und Gemeinschaft in den Fokus moderner Unternehmensführung. Gemeinsam diskutieren sie, warum Führung nichts anderes als Carearbeit ist, welche transformative Kraft in Liebe und Menschlichkeit steckt und was Unternehmen von Jäger-Sammler-Kulturen lernen können.
»Liebe in der Wirtschaft ist sehr irritierend. Es passt im ersten Moment überhaupt nicht zusammen. Man wird auch schneller in diese banale, naive, im schlimmsten Fall Esoterik Ecke gedrängt, wo bei mir alle Alarmglocken läuten. Ich bin Wissenschaftlerin.«
Bettina Ludwig

Bettina Ludwig ist Kulturanthropologin, Keynote-Speakerin und freie Wissenschaftlerin. Mit ihrem interdisziplinären Ansatz beleuchtet sie die Themen Zugehörigkeit, Gemeinschaft und Mitgefühl und übersetzt diese in die moderne Arbeitswelt.
Als Initiatorin des Zukunftssymposiums bringt sie führende Köpfe zusammen, um aktuelle und zukünftige Herausforderungen der Wirtschaft zu diskutieren. Ihre Vision: Menschlichkeit und Liebe als transformative Kräfte in Organisationen zu verankern.
Wir wollen nicht nur über das Besserwerden reden, wir wollen tatsächlich besser werden. Senden Sie uns Feedback an dieschoeneunddasbiest@trainconsulting.eu.
Wer nicht hören will, muss lesen! Hier der Podcast zum Nachlesen:
»Die Schöne und das Biest. warum schöne Organisationen die Welt verändern.«
Ein Podcast von Mari Lang und Trainconsulting Geschäftsführer Lothar Wenzl
BETTINA LUDWIG: Zum Thema Leadership oder Führung ist mir relativ schnell klar geworden, kein Mensch braucht eine Führungskraft. Projekte brauchen Führungskräfte, Unternehmen brauchen Führungskräfte, aber nicht der Mensch an sich.
LOTHAR WENZL: Führung ist nichts anderes als Carearbeit. Sie ist nur Carearbeit. Die Frage, was gebe ich, wo wende ich mich hin, mit wem verbinde ich mich? Natürlich mit einem Ziel an der Stelle. Diese Carearbeit findet sich in den Organisationen und es ist verloren gegangen, dass Führung Carearbeit ist.
BETTINA LUDWIG: Da liegt so viel Potenzial drin, in der Wirtschaft dieses Thema Zugehörigkeit aufzugreifen und zu sagen: »Wir als Unternehmen sind ein Raum und ein Ort, wo Menschen Zugehörigkeit verspüren können.« Das muss nicht wie Familie sein, wir haben uns alle lieb und umarmen uns ständig. Stattdessen ist das eine Message an die Mitarbeiter, wo man sagt, wir schaffen Räume, in denen Fragen gehalten werden.
LOTHAR WENZL: Es ist aber kein Wirtschaftsphänomen, dass Liebe so wenig fluktuiert und so wenig zum Thema gemacht wird. Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, dass nicht der Eindruck entsteht, die Wirtschaft ist die böse Ecke und alles andere, dort funktioniert es wunderbar.
BETTINA LUDWIG: Liebe in der Wirtschaft ist sehr irritierend. Es passt im ersten Moment überhaupt nicht zusammen. Man wird auch schneller in diese banale, naive, im schlimmsten Fall Esoterik Ecke gedrängt, wo bei mir alle Alarmglocken läuten. Ich bin Wissenschaftlerin.
MARI LANG: Zum Schluss würde ich gerne noch wissen, wenn Liebe ein Geräusch wäre, was wäre das?
BETTINA LUDWIG: Soll ich das Geräusch nachmachen oder beschreiben?
MARI LANG: Wenn du es nachmachen kannst, ist das noch besser.
BETTINA LUDWIG: Ich würde es gerne nachmachen.
MARI LANG: Beziehungen, ich verstehe. Wir machen einen Beziehungspodcast. Die Schöne.
LOTHAR WENZL: Und das Biest.
MARI LANG: Warum schöne Organisationen die Welt verändern? Ein Podcast von.
LOTHAR WENZL: Mari Lang.
MARI LANG: Und Trainconsulting Geschäftsführer Lothar Wenzl. Herzlich willkommen zu einer weiteren Folge von Die Schöne und das Biest mit Mari Lang.
LOTHAR WENZL: Und Lothar Wenzl.
MARI LANG: Lothar, du prägst mit Trainconsulting den Begriff »schöne Organisationen« und mir ist ein Thema untergekommen, das total gut zu euch passen könnte. Das klingt fast wie eine Ergänzung zu schöne Organisationen. Es ist Liebe in der Wirtschaft. Kannst du dir etwas darunter vorstellen?
LOTHAR WENZL: Unter Liebe können wir uns alle etwas vorstellen. Wir haben sie alle erlebt. Spannend finde ich, dass im Unterschied von vor zehn Jahren dieses Thema, wenn ich das in Organisationen hinein trage, über Liebe rede oder Liebe zum Thema wird, das Tabu nicht mehr so groß ist. Wenn Liebe die größte Kraft in dieser Welt ist, müssen wir sie in Organisationen hineintragen. Wir kommen gar nicht umhin, damit zu arbeiten. Für mich ist es fast zu einer Leidenschaft geworden.
MARI LANG: Wir haben bereits darüber geredet und da habe ich das fast ein bisschen kritisch gesagt, unter »schöne Organisationen«, so wie du es sagst, kann sich jeder etwas vorstellen. Unter Liebe kann sich jeder etwas vorstellen. Unter schön kann sich auch jeder etwas vorstellen, aber ich wage zu behaupten, dass das sehr unterschiedlich ausschaut, wenn man fragt: »Was genau stellst du dir darunter vor?« Alleine bei Liebe gibt es die romantische Liebe, die Liebe zwischen Eltern und Kindern. Das ist alles sehr unterschiedlich. Was genau verstehst du?
LOTHAR WENZL: Also letztlich ist es die Liebe zu den Menschen und das heißt auch zu uns selber, welche uns treibt und welche die wichtigste Grundlage überhaupt dafür ist, dass Beziehungen gelingen können. Reden wir über Organisationen. Wir reden und arbeiten viel mit dem Thema Leadership und Führung. Sehr häufig zu Beginn, vor allem in Veränderungsprozessen, beginnen wir mit der Topführung zu arbeiten, weil die muss den Auftrag geben. Die Frage, was ist Führung, wird hier sofort thematisiert. Das mag viele überraschen, aber letztlich ist Führung nichts anderes als ein Akt oder eine Art von Liebe.
MARI LANG: Beziehungen, ich verstehe. Wir machen einen Beziehungspodcast oder zumindest eine Folge, wo es um Beziehungen geht. Ohne Beziehungen geht es nirgends, habe ich das Gefühl, oder?
LOTHAR WENZL: So ist es und dafür haben wir uns auch die Richtige eingeladen.
MARI LANG: Unsere heutige Gästin Bettina Ludwig, Kulturanthropologin und Keynote Speakerin, die unabhängige Forschung auf dem Fachgebiet der Jäger-Sammler*innen-Forschung betreibt, hat es sich zum Ziel gemacht, mehr Liebe in die Wirtschaft zu bringen. Warum und wie sie das macht und welche konkreten Auswirkungen das auf Führung in Unternehmen, auf Leadership hat, darüber sprechen wir heute. Hallo Bettina.
BETTINA LUDWIG: Hallo. Schönen guten Morgen.
MARI LANG: Bettina war mein Vorschlag, weil ich sie schon länger kenne. Unter anderem davon, dass sie jährlich das Zukunftssymposium veranstaltet. Da werden aktuelle und zukünftige Herausforderungen der Wirtschaft und der Arbeitswelt verhandelt. Ein Gast, den wir hier im Podcast hatten, der hat dort auch schon mal gesprochen. Das war Nipun Mehta. Ich kann sehr empfehlen, sich diese Folge hier von Die Schöne und das Biest anzuhören. Mit dir, Bettina, wollen wir heute darüber reden, was das mit dieser Liebe in der Wirtschaft auf sich hat. Bevor wir aber darauf eingehen, ich habe gesagt, das Zukunftssymposium ist eine Veranstaltung in Oberösterreich, die du aus der Taufe gehoben hast. Das war deine Idee. Warum sollten wir uns mehr mit der Zukunft beschäftigen?
BETTINA LUDWIG: Wenn ich mich zurückerinnere, das war zu Beginn der Coronazeit, März, April 2020. Das war ganz am Anfang, wo man gemerkt hat, die Stimmung sackt in der Gesellschaft nach unten. Die Leute kommen in ein Gefühl von Unsicherheit und Angst und da spürt man ganz stark seinen innerlichen Drive. Dem müssen wir entgegenwirken. Wir brauchen Optimismus, Freude, Zusammenhalt, Gemeinschaft. Wir brauchen diese Werte wieder im Zentrum, damit die Leute nicht in die Angst verfallen und in der Unsicherheit bleiben, sondern wieder erinnert werden an ihre eigene Wirksamkeit, an die individuelle Wirksamkeit. So startete das. Das war ein Gefühl. Man startet, man kontaktiert die ersten Leute und plötzlich kommen Dinge in das Rollen. Es war am Anfang gar nicht klar, was das wird und wie das ausschauen wird und es hat sich auch verändert, aber es kam damals aus dieser Phase der Unsicherheit und Angst.
MARI LANG: Unsicherheit und Angst, das haben wir hier im Podcast auch schon öfter besprochen, ist ein bisschen ein Gefühl, das permanent mitschwingt, das auch Unternehmen und Organisationen sehr betrifft. Vor welchen Herausforderungen würdest du sagen, stehen wir da und von welchen Herausforderungen sprechen wir, wenn es um Wirtschaft und die Arbeitswelt geht?
BETTINA LUDWIG: Was ich in meiner Arbeit erlebe, ist, dass genau diese Themen der Unsicherheit und Angst, die in der Gesellschaft herrschen, in den Unternehmen nicht besprochen werden. Ich erlebe, dass man sehr wenig darauf eingeht, in welchem Modus die Menschen, die Individuen, die in den Unternehmen arbeiten, sind, wie sie sich fühlen, wie die in die Zukunft blicken. Ich glaube, das wäre ein Riesenpotenzial, wenn man dahingehen würde und sagen würde: »Wie geht es euch? Wie blickt ihr in die Zukunft? Wir blicken wir als Unternehmen in die Zukunft? Was sind unsere Haltungen zu unterschiedlichsten Themen? Das würde dem Gesamtunternehmen viel helfen, weil du eine Gemeinschaft aufbaust, die sich zu diesen großen Fragen der Transformation der Gesellschaft austauscht und die den Leuten einen Halt gibt. Ich spreche ganz stark aus meiner Sicht zu dem Thema Zugehörigkeit. Ich glaube, und das sage ich immer wieder zu unterschiedlichsten Unternehmen unterschiedlichster Größe, national und international, da liegt so viel Potenzial in der Wirtschaft, dieses Thema Zugehörigkeit aufzugreifen, um zu sagen: »Wir als Unternehmen sind ein Raum und ein Ort, wo Menschen Zugehörigkeit verspüren können.« Das muss nicht wie eine enge Familie sein, wir haben uns alle so lieb und umarmen uns ständig. Stattdessen ist das eine Message an die Mitarbeiter, wo man sagt, wir schaffen Räume, in denen Fragen gehalten werden.
MARI LANG: Lothar, wie siehst du das bei euch in der Beratung? Beschäftigen sich Unternehmen zu wenig mit der Zukunft und auch mit diesem Gefühl der Zusammengehörigkeit der Gemeinschaft?
LOTHAR WENZL: Das kann ich mit großer Bestimmtheit bejahen. Die Frage des Zukunftsbilds habe ich gestern mit einem Kollegen diskutiert. Ich würde eine Schätzung abgeben. Mindestens zu 80 Prozent haben Unternehmen oder Organisationen kein gemeinsames Bild über ihre Zukunft. Dort fängt alles an, weil wenn ich kein gemeinsames Bild über die Zukunft habe, über das Wohin, wohin wir zielen, wohin wir gehen wollen und das nicht geteilt ist, ist es wahnsinnig schwierig, Orientierung zu finden, auch für das eigene Verhalten. Das zweite Thema, das du, Bettina, ansprichst, ist das Thema der Räume oder auch Rahmen so zu gestalten, dass in diesem Rahmen die wichtigen Dinge verhandelt werden. Dinge sind so gemeint, dass wir über Emotionen reden müssen, wie es den Menschen geht, welche die Arbeit machen. Solange das nicht gemacht wird, ist wahrscheinlich der wichtigste Produktionsfaktor, um es mit einem Wirtschaftsbegriff zu benennen, für die Wirtschaft, das Engagement der Menschen, verloren. Solange es diese Safe Spaces nicht gibt, diese sicheren Räume, die halten, die Halt geben, in denen Haltung möglich ist, können diese Menschen nicht ihr Potenzial ausschöpfen. Außerdem können sie sich nicht begegnen. Wenn ich zum Thema Liebe zurückkehre, wäre der größte Liebesdienst, Menschen zu sehen und ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie gesehen werden.
MARI LANG: Bettina, wie ich von dir verstehe, ist Liebe die Antwort auf so vieles, auch in Unternehmen. Was genau verstehst du unter Liebe?
BETTINA LUDWIG: Wie du am Anfang sagtest, es gibt unterschiedliche Blickwinkel, wenn es um das Thema Liebe geht. Was ich mit Liebe in der Wirtschaft meinen oder woran ich denke, da geht es erstens um das Thema Zugehörigkeit, Menschlichkeit und Mitgefühl. Und zwar geht es darum, diese Kernwerte und Kernaspekte auf irgendeine Art und Weise einfließen zu lassen. Oder von denen auszugehen und aufbauend auf diesen Werten Strukturen bauen, Aktionen setzen, Handlungen ausführen. Ich glaube, da geht es ganz viel um eine Grundhaltung. Das ist maximal schwierig. Wir befinden uns nicht in einem Wirtschaftssystem, das in Richtung Liebe aufgebaut ist und das wissen wir auch alle. Ich glaube, genau deswegen verwende ich diese Begriffe. Liebe in der Wirtschaft ist sehr irritierend. Es passt im ersten Moment überhaupt nicht zusammen. Man wird auch schnell in diese banale, naive, im schlimmsten Fall Esoterikecke gedrängt, wo bei mir alle Alarmglocken läuten. Ich bin Wissenschaftlerin, aber nichtsdestotrotz ist es, glaube ich, so wichtig, diese radikalen Worte, im Sinne von irritierenden Worten, zu verwenden, damit die Leute aufwachen. Wir müssen Dinge ansprechen, die wie Elefanten im Raum sind. Diese Menschlichkeit im Wirtschaftssystem, die muss wieder ganz klar und viel offener thematisiert werden. Deswegen glaube ich an diese Begrifflichkeit, Liebe in der Wirtschaft. Wenn ich von Menschlichkeit spreche, da sprechen wir schon sehr lange drüber in der Wirtschaft, ist das zu wenig aufweckend. Da hören die Leute nur mit einem Ohr hin. Bei Liebe in der Wirtschaft ist es anders. Wenn ich in meinem Arbeitsalltag sitze, sitze ich in 90 Prozent der Fälle vor Männern. Ich sitze vor viel mehr Männern, weil ich sehr viel mit Menschen in Führungspositionen zu tun haben. Wir alle kennen die Zahlen von Männern und Frauen in Führungspositionen. Da schauen die Leute schon komisch, wenn ich sage: »Wir sprechen über Liebe.« Das ist aber dieser wichtige Moment, dass man sagt: »Wir gehen heraus aus unserer klassischen Komfortzone und denken aus einer anderen Richtung über das nach, was wir machen.«
MARI LANG: Nur ganz kurz dazu, was auch total spannend ist, denn wir haben vorhin über Emotionen gesprochen, die es mehr braucht, hast du gesagt, Lothar. Jetzt sprichst du, Bettina, du vor allem von Führungskräften und die sind oft männlich. Wir wissen auch, nicht nur aus der Wissenschaft, sondern das braucht man nur tagtäglich beobachten, Männer und Gefühle ist auch fast wie ein Widerspruch. Wie geht das zusammen? Beziehungsweise wie schaffst du da eine Annäherung, dass es nicht bleibt bei: »Die Kulturanthropologen hat uns etwas Nettes erzählt, das war lieb«, sondern dass es tatsächlich einen Impact hat und sich etwas verändert.
BETTINA LUDWIG: Ich glaube, da hilft mir die Zeit, in der wir leben. Wie Lothar am Anfang schon gesagt hat, wenn ich vor zehn Jahren gestartet hätte, diese Themen in die Wirtschaft zu bringen, hätte das noch gar nicht funktioniert. Ich habe vor fünf Jahren gestartet und da hat man gemerkt, es gibt Momentum und das merkt man immer mehr. Man steht an sehr viele Ecken und Enden in der Wirtschaft an. Es ist auch die große unternehmerische Unsicherheit, was passiert im nächsten Jahr, in den nächsten zwei, drei Jahren, geschweige denn in zehn Jahren? Davon hat man überhaupt keine Ahnung. Die Planungssicherheit bröckelt immer mehr weg. Diese Unsicherheit und diese Zeit, in der wir leben, die spielt da zusammen mit Liebe in der Wirtschaft, weil die Augen und Ohren müssen offen sein, weil man neue Impulse und Inputs braucht. Dazu kommt, dass ich durch meinen anthropologischen Hintergrund einen ganz anderen Blickwinkel auf die Dinge habe. Ich stelle ganz andere Fragen auf das System. Dieser Blick von außen ist oft sehr hilfreich, weil von innen heraus Fragen an das eigene System zu stellen, ist oft gar nicht so leicht. Da sind die Menschen immer sehr dankbar. Vielleicht das noch, denn du sagst Männer und Emotionen klingt wie ein Widerspruch. Ich glaube, das ist diese Geschichte, die in unserer westlichen Welt herrscht. Real und de facto ist es überhaupt nicht so, weil Männer haben genauso Emotionen wie Frauen. Es gibt nicht diese Räume, wo sie es ausdrücken können. Es gibt nicht diese Sozialisierung, wo man lernt, wie man sie ausdrückt oder wie man darüber spricht und so weiter, aber wir haben alle gleich viel und wenig Emotionen und Aufs und Abs und Höhen und Tiefen. Die Frage ist nur, wer schafft auch da wieder Räume, damit es angesprochen werden kann. Da merke ich ganz stark, dass auch da ein Wandel ist. Ich bekomme das in meiner täglichen Arbeit mit, gerade in Vorstandsebene, man will anders und neu denken, aber meistens hat man keinen Plan, weil das hat man in den letzten hundert Jahren nicht gemacht.
LOTHAR WENZL: Ich habe die gleiche Erfahrung. Es gibt eine große Sehnsucht nach Klarheit, vor allem in den Topetagen, die oft sehr einsam sind oder zumindest sich einsam fühlen. Die sind sehr dankbar, wenn jemand kommt und Klartext redet. Ich weiß nicht, ob es ein Widerspruch ist, aber ich wollte auf etwas reagieren, was du gesagt hast. Liebe in der Wirtschaft ist ein wichtiges Thema, keine Frage, aber es ist nicht ein Wirtschaftsphänomen, dass Liebe so wenig fluktuiert und so wenig zum Thema gemacht wird. Es ist ein gesellschaftliches Phänomen. Das haben wir überall. In den Schulen, in der Pflege, in all den Berufsbildern haben wir das genauso wie in der Wirtschaft. Das wollte ich dazusagen, dass für mich nicht der Eindruck entsteht, Wirtschaft, das ist die böse Ecke und überall anders funktioniert sie wunderbar.
BETTINA LUDWIG: Ich glaube auch nicht, dass diese böse Wirtschaft, die böse Ecke ist. Ich glaube, es ist die ausgehungerte Ecke und deswegen gehe ich in diese Ecke. Du sagst, Schule und Pflege, da wirst du stark mit dem Leben konfrontiert, mit der Entfaltung und mit Leben, was Leben an sich ist, dass die Liebe immer wieder vorkommt und dich immer wieder erinnert ans Leben und an das Menschsein. In der Wirtschaft erzählen wir uns Geschichten und haben uns Strukturen und Systeme erbaut, wo du nicht mehr an das erinnert wirst. Deswegen ist es, glaube ich, die am meisten ausgehungerte Ecke, aber die Individuen, die dort sitzen, sind Individuen wie in der Pflege und in der Schule, wie wir alle.
MARI LANG: Ist es nicht auch so, da komme ich als Geschlechterforscherin des Alltags in das Spiel, dass Wirtschaft und Politik die obersten Machtzentren, die man sich vorstellen kann, wo das Patriarchat und die Spielregeln des Patriarchats am stärksten greifen. Deswegen sieht es in anderen Bereichen, wie Carearbeit oder Pädagogik, immer noch anders aus. Deswegen ist dort vielleicht Liebe nicht so offensichtlich ein Widerspruch, wobei es auch viel zu verbessern gäbe. Gerade aber in der Wirtschaft und in der Politik, und ich glaube, Politik könnte man genauso ummünzen, bräuchte es mehr Liebe. Ich frage mich aber, ob das nicht damit zu tun hat, dass das die maximale Ausformung des Patriarchats ist und die Spielregeln dort sehr kapitalistisch, patriarchal geprägt, neoliberal sind und das alles sehr männlich dominiert ist.
LOTHAR WENZL: Ich glaube, das ist sehr, sehr unterschiedlich. Ich komme gestern von einem Unternehmen in der Steiermark und dort sitzen die zwei Topmanager und einer bringt seine zwei Kinder mit am späten Nachmittag, weil er keine Betreuung mehr hat. Die sitzen im Nebenraum und spielen, während wir unser Meeting halten. Ich glaube, es gibt gerade in der Ecke ganz viel Bewegung in die Richtung und ich finde das sehr positiv.
MARI LANG: Nimm uns ein bisschen mit zu den Anfängen, wie du überhaupt mit dieser Thematik, mit der du dich derzeit beschäftigst, in Berührung gekommen bist. Unter anderem, du bist Kulturanthropologin, Wissenschaftlerin und hast dich viel mit Jäger-Sammler*innen-Kulturen auseinandergesetzt. Du warst in der Kalahari Wüste bei einem Volk, das nennt sich Ju/’hoansi. Du hast ein Buch darüber geschrieben, unserer Zukunft auf der Spur. Was konntest du dir von dort, vom Gemeinschaftsleben vor Ort mitnehmen, was man auf unsere Unternehmen übertragen kann, vor allem in Bezug auf Leadership und Führung?
BETTINA LUDWIG: Was mir durch diese Forschungen klar geworden ist, weil bei den Forschungen geht es immer um die Jäger-Sammler-Strukturen. Das heißt, das ist eine Gesellschaftsform von maximal 10.000 Leuten. Alles darüber wäre ein Stamm, weil danach funktionieren diese Jäger-Sammler-Strukturen nicht mehr. Es gibt die Jäger-Sammler-Struktur und ich kenne diese westliche Welt, in der ich selbst aufgewachsen bin. Man vergleicht und versucht herauszufinden, was sind die Unterschiede in der Organisationsform und was ist aber dennoch gleich. In dem Fall geht es ganz schnell um die Frage, was heißt Menschsein und was sind die Dinge, die wir alle brauchen, um zu leben? Außerdem, was sind Sachen, die wir aufgrund der kulturellen Kontexte entwickelt haben? Da filtert man heraus und das ist wie eine detektivische, wahnsinnig spannende Arbeit. Was heißt Menschsein wirklich? Zum Thema Leadership oder Führung ist mir relativ schnell klar geworden, kein Mensch braucht eine Führungskraft. Projekte brauchen Führungskräfte, Unternehmen brauchen Führungskräfte, aber nicht der Mensch an sich. Wir gehen davon aus, dass Menschen geführt werden müssen. Das stößt mir auf, weil jeder Mensch kann sich selbst führen. Ein Mensch kommt auf die Welt. Am Anfang, wenn er noch ganz klein ist, braucht er sehr viel, aber ab dem Kleinkindalter können die so viel selbst. In unserem gesellschaftlichen Kontext lassen wir sie nicht, weil es nicht ausgeht. Das ist so. Ich habe selbst eine Tochter, die ist drei. Es geht nicht, sie zu lassen, weil wir viele Dinge haben, die rundherum funktionieren müssen. Das hat uns aber auch dazu gebracht, glaube ich, nicht mehr zu hinterfragen, wozu der Mensch imstande ist. Der Mensch an sich braucht Menschen, die vorgehen, wo man zuschauen kann und wo man sagen kann: »Die machen das so. Davon will ich lernen.« Die brauchen Idole, Vorbilder und eine Community, in der sie das Gefühl haben, da kann ich scheitern, da kann ich lernen, da kann ich drauf kommen, wer ich bin und was ich kann und was ich beitragen will. Der nächste Punkt ist dieses Thema beitragen. Da geht es auch in das Thema Leadership. Was ich durch die Jäger-Sammler-Forschung ganz klar gelernt habe, ist, dass jeder Mensch etwas beitragen will. Jedes kleine Kind, das Teil der Menschheit wird, will etwas beitragen und sei das am Anfang den Tisch zu decken, Servietten, Gabel, Messer hinlegen. Wir lassen sie am Anfang und glauben, das hört an einem Punkt auf. Wir haben anscheinend das Gefühl, ab einem Punkt muss man sie eindämmen, muss man sie erziehen, muss man ihnen sagen, wie das funktioniert. Die Strukturen verändern sich auch auf eine Art und Weise, wenn man älter wird, dass man nichts mehr beitragen kann, sondern dass man zu funktionieren hat. Das ist in Jäger-Sammler-Gesellschaften nie so, denn dort trägst du bis zum Ende deines Lebens etwas bei. Dafür sind wir gemacht. In dem westlichen Kontext, in dem wir leben, ist es nicht so. Die Strukturen, die wir gebaut haben, sind nicht darauf ausgelegt, dass wir etwas beitragen können. Die Strukturen sind darauf ausgelegt, dass jemand etwas überlegt, was er machen will und man braucht Leute dazu, damit man das machen kann. Im guten Fall fühlt sich das für die Menschen an, ich gebe da etwas, aber der klassische Fall ist, dass man nicht von sich aus etwas geben muss, sondern dass man da hineingesteckt wird. Man muss etwas machen, damit man von etwas leben kann. Ihr wisst das. Ihr kennt die Geschichte. Deswegen sage ich immer: »We live in a world that is about taking, yet people are made for giving.« Das heißt, das Wirtschaftssystem wird radikal auf den Kopf gestellt. Das ist natürlich utopisch, aber bei Utopien muss man anfangen zu denken, weil sonst denkt man zu klein, glaube ich.
LOTHAR WENZL: Es wäre schön, wenn ich widersprechen könnte, denn damit wäre es spannender und so.
MARI LANG: Lassen Sie uns streiten, Lothar.
LOTHAR WENZL: Das können wir aber leider oder Gott sei Dank an der Stelle nicht. Zu meiner Geschichte zum Thema Führung. Wir beschäftigen und ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit dem Thema intensivst. Vor vielen Jahren haben wir und ich gesagt, wir führen Mitarbeiter*innen. Wir haben versucht, das ein bisschen anders darzustellen, wir führen Menschen. Seit vielen Jahren spreche ich davon nicht mehr, weil ich zur gleichen Überzeugung gelangt bin. Wir führen nicht Menschen. Was wir tun ist, wir gestalten hoffentlich unsere Beziehungen. Wir gestalten Projekte, wir gestalten Rahmenbedingungen, Rahmen für Organisationen. Wir gestalten Entscheidungsprozesse hoffentlich möglichst gut, aber wir führen nicht Menschen. Was mit dem Begriff sofort einhergeht, sind Bilder. Wir führen Menschen an der Leine, an der Nase herum und da bin ich ganz bei dir. Es ist absurd, dass wir glauben, wir führen andere Menschen. Ein zweiter Kommentar, wir sehen ganz vieles davon, was du aus der Forschung mitbringst, in unserer Gesellschaft nach wie vor. Wenn ich Vereinsleben anschaue, Sportvereine, Musikverein et cetera, dort funktioniert genau das. Dort nehmen Menschen in ihren Gemeinden, in ihren Vereinen Verantwortung wahr, weil sie sagen: »Das ist mir wichtig. Ich gehe dort hinein. Ich lasse mich überzeugen bei dem, was ich da gerade tue und versuche jetzt mal eine Fußballmannschaft oder was auch immer zusammenzustellen.« Auch das gibt es und die Gesellschaft würde überhaupt nicht mehr funktionieren, würden wir nicht diese archaischen Grundmuster des Lebens nach wie vor haben. Auch dort bröckelt es gewaltig, wie wir wissen.
MARI LANG: Ich bin überhaupt nicht für Streiten, aber dafür, Dinge zu hinterfragen und in mir leuchten jetzt ein paar rote Lampen auf, denn das klingt für mich alles sehr schlüssig. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, wenn du in der Kalahari Wüste in einer Gemeinschaft aufwächst, wo das so ist, wie du es beschrieben hast, Bettina, bist du so sozialisiert. In dem Fall ist es für dich in dem System selbstverständlich, dass du beitragen kannst und dass das gewünscht ist. Ich erlebe das tagtäglich, weil ich zwei Kinder habe, in unserem Bildungssystem. Es wird unseren Kindern von vornherein abtrainiert und wir wollen aber, wenn die erwachsen sind und in Unternehmen tätig sind, vielleicht sogar Führungskräfte werden, dass die das anders machen. Wie kann man in Unternehmen damit umgehen, dass man eine Sozialisierung mitbringt, die man auch nicht leugnen kann? Die ist da. Gelernte Muster sind in uns drin. Wir haben Glaubenssätze, die wir von klein auf mitbekommen haben. Plötzlich sollen wir es anders machen. Das macht natürlich in Zeiten, wo Unsicherheit ganz groß vorherrscht, in einem selbst auch noch extreme Unsicherheit. Wie kann man damit umgehen?
BETTINA LUDWIG: Eine Frage, die ich in dem Moment, wenn dieses Thema aufkommt, den Unternehmen immer mitgebe, vor allem den Führungskräften, aber auch jeder einzelnen Person im oder außerhalb des Unternehmens, ist eine, die ich selbst, mein Leben geprägt und verändert hat. Was wir in unserem gesellschaftlichen Kontext machen, wir fragen junge Leute, was willst du machen? Was willst du werden, im Sinne von, was willst du machen? Das ist eine wahnsinnig schwierige Frage. Diese Frage müssen wir wirklich abschaffen und nicht mehr stellen. Was wir Jugendlichen, aber auch 60-Jährigen oder alle durch die Bank hinweg fragen sollten ist, was willst du geben? Wenn du die Frage stellst, was willst du machen, ist man sofort im Kopf und überlegt, was kann ich schon gut, was habe ich schon gemacht? Was sind meine Talente, wo könnte ich mich hinentwickeln? Wenn du die Frage stellst, was willst du geben, bekommst du ein Gefühl. Das kann sich jeder da draußen selbst fragen, sich mit dieser Frage hinsetzen und sagen, was will ich geben? Plötzlich bekommst du im besten Fall ein körperliches Gefühl und die fallen Dinge ein wie, ich will Ruhe verbreiten. Ich will Freude verbreiten. Ich will Musik machen, was auch immer. In dem Fall kann man sich überlegen, dieses Vertrauen oder diese Ruhe, die man verbreiten will, in welchem Kontext passt das konkret hinein. Wo braucht es das und wie formt sich das aus? In dem Moment, in dem man die Frage stellt, schafft man eine Verbindung zu sich selbst und gibt dem Menschen die Möglichkeit, in diese Entfaltung zu gehen. Das sind grundlegende Dinge, da müssen wir von etwas ganz anderem ausgehen, von einem anderen Menschenbild. Oder aber sich die Frage stellen, was heißt Menschsein überhaupt?
MARI LANG: Ich glaube, das hast du vorhin gesagt. Hast du eine Antwort gefunden in der Kalahari Wüste? Was bedeutet Menschsein?
BETTINA LUDWIG: Das passt sehr gut dazu. Du hast gesagt, man wird sozialisiert oder das wird einem abtrainiert und so weiter. Ich glaube, das Gute ist, dass die Sozialisierung uns nicht alles abtrainieren kann. Gewisse Dinge bleiben in uns, ob wir es sozialisiert bekommen oder nicht. Kommen wir zu der Geschichte. Nachdem ich bei Nipun Mehta eingeladen worden war, der war bei euch schon im Interview, in sein Gandhi 3.0 Retreats in Indien, habe ich so viel Generosität verspürt und so viel Dankbarkeit nach der Einladung. Da wird man eingeladen und so umsorgt und plötzlich kommst du heraus und sagst: »Ich bin so dankbar, ich möchte das weitergeben.« Ich glaube, im Zuge dessen ist mir ein paar Monate später ein Projekt eingefallen, und zwar »A Hundred Days of Giving«. Was passiert, wenn ich jeden Tag eine Sache gebe? Das heißt, ich habe fremde Menschen auf der Straße angelacht. Ich habe einer Person beim Bäcker Blumen geben und habe gesagt: »Vielen Dank, dass Sie jeden Tag so früh aufstehen, um uns Kaffee und Croissant zu verkaufen. Danke dafür.« Die Frau hat Tränen in den Augen gehabt und ich auch. Oder ich habe Menschen Feedback gegeben und habe gesagt: »Ich höre dir 15 Minuten zu, ohne meinen Senf dazuzugeben. Ich höre dir nur zu.« Auch diese Person hat zu weinen begonnen, wo ich wieder daran erinnert wurde, in der Welt leben wir, wo wir uns nicht einander bedingungslos 15 Minuten zuhören. Ich habe das gemacht und nach sieben Tagen, zehn Tagen merkt man ganz klar eine Verbindung zu den Menschen rund um sich. Ich lebe in Wien und in dem öffentlichen Raum oder wenn man in der Straßenbahn sitzt, hat man plötzlich das Gefühl von, wir gehören alle zusammen. Natürlich bin ich nicht allein. Natürlich ist da eine Verbindung. Nach 30 Tagen spürst du das noch viel mehr und denkst dir: »We are all one.« Nicht auf einer auf Wolke schwebenden Art und Weise, sondern es wird dir klar, wir sind alle miteinander verbunden. Nach hundert Tagen schwebst du in den Wolken, denn du fühlst ein arges Gefühl von Zugehörigkeit zur Gesellschaft an sich. Ich habe mir angeschaut, warum ist das so? Was passiert da? Da gibt es ganz viele Studien in der Psychologie, die uns zeigen, dass der biologisch etwas passiert. Wenn Menschen bedingungslos geben, ohne etwas zurückzuerwarten, passiert Folgendes. Wir schütten die DOS-Hormone aus. Das sind die Hormone wie Dopamin, Oxytocin, Serotonin, Endorphine. Ich glaube, das ist ein Thema, wenn wir sagen, was heißt Menschsein? Menschsein heißt, dass wir für Verbindungen gemacht sind.
LOTHAR WENZL: Das Schöne an dem Beispiel, finde ich, dass wir alle diese Erfahrungen ununterbrochen machen.
MARI LANG: Wir kennen es. Wir kennen das Gefühl.
LOTHAR WENZL: Wir sind in Verbindung. Wir machen diese Erlebnisse. Wir haben sie seit frühester Kindheit gemacht, schon seit dem Mamabauch gemacht. . Alle von uns kennen dieses Gefühl, manche mehr, manche weniger. Es ist vielleicht nicht im Vordergrund, aber das ist das Gute daran, wie du gesagt hast, das kann uns niemand nehmen oder das bleibt, weil wir ständig in Verbindung sind. Nicht, dass alle Verbindungen immer rosig oder rosa sind, aber wir haben dieses Gefühl. Wenn wir uns wieder die Organisationen anschauen, dort passiert ganz viel von dem auch. Wenn dort Dinge gelingen, bei einem Projekt oder bei einem besonderen Erfolg, der dort gefeiert wird, kommt da immer nur aus dieser Ecke, weil Menschen sich verbunden haben und gemeinsam etwas gemacht haben für etwas Größeres als sie selbst sind. Das ist genau das, was wir versuchen, immer wieder in den Organisationen hervorzuholen.
BETTINA LUDWIG: Da möchte ich andocken. Bedingungslos geben heißt nicht nur, anderen bedingungslos zu geben, sondern als erste muss ich das bei mir machen und bei mir anfangen. Du hast gerade den Mamabauch angesprochen, darum bin ich daran erinnert worden. In unserem westlichen Kontext, wo Frauen tendenziell mehr für die Carearbeit zuständig sind, muss man ganz wichtig dazusagen, man muss bei sich selbst anfangen.
LOTHAR WENZL: Absolut. Wenn ich die Brücke wieder zum Thema Führung oder Leadership zu schlagen versuche, du hast Carearbeit angesprochen. Führung ist nichts anderes als Carearbeit. Sie ist nur Carearbeit. Die Frage, was gebe ich, wohin wende ich mich, mit wem verbinde ich mich, mit einem Ziel an der Stelle, um etwas zu erreichen, um was immer auch zu tun, diese Carearbeit findet sich in den Organisationen und das ist verloren gegangen, dass Führung Carearbeit ist.
MARI LANG: Lothar, wie reagieren Führungskräfte, wenn du das sagst, Führung ist Carearbeit?
LOTHAR WENZL: Es gibt ganz unterschiedliche Reaktionen. Da gibt es die Reaktionen: »Das merke ich, ich fühle mich oft wie ein Kindergärtner.« Ich sehe aber auf der anderen Seite, und das haben wir zu Beginn schon besprochen, auch viele Tendenzen in Richtung, das sehr ernst zu nehmen und das auch langsam zu sehen. Die Menschen, die wir als Führungskräfte bezeichnen, merken, dass sie ohnehin nur so weiterkommen, wenn eine tiefe Verbindung da ist, wenn die Beziehung stimmt. Wenn es eine tiefere Ebene des Verstehens gibt, wenn Sie selbst gesehen werden als Führungskräfte in Ihrer Arbeit, wenn Sie andere sehen, da gibt es mittlerweile einen großen Zug hin.
BETTINA LUDWIG: Nur ein Punkt, den Begriff Carearbeit spüre ich in dem Fall auch nicht, muss ich zugeben, weil ich mit Carearbeit andere Dinge verbinden, wie sich abkämpfen, nichts dafür bekommen, keine Wertigkeit in der Gesellschaft für einen wichtigen Bereich. Ich gehe gedanklich eher in die Richtung, weil du sagtest, man hat ein konkretes Ziel, in der Wirtschaft braucht es immer ein Ziel, und ich glaube, wir dürfen Ziele haben, auch individuell, als Führungskräfte für unser Team, als Unternehmen. Die Frage ist nur, und deswegen ist es für mich nicht Carearbeit, sondern eher Communityarbeit, die Frage ist, was ist der Motor dahinter, dass ich diesen Weg gehe. Wenn der Motor dahinter ist, dass das, was ich tue, am Schluss, einen Beitrag für die Community leisten soll, ist es wieder okay. Das ist aber die große Kernfrage hinter dem, warum ich mich auf diesen Weg mache. Wirtschaft an sich ist nicht schlecht. Es ist nicht schlecht, etwas voranzubringen. Es ist auch nicht schlecht, Ziele zu haben. Die Frage ist, warum mache ich das?
MARI LANG: Oft aber, so nehme ich es wahr, ist es getrieben von äußerlichen Werten. Es ist oft so, dass Menschen ständig befördert werden wollen und ich muss weiterkommen und nach oben kommen. Ich sage etwas Böses, aber ganz oft ist es so, dass Menschen in Positionen landen, wo man sie nicht mehr weiter befördern kann und wo sie aber auch nicht mehr gut sind, denn darum kann man sie nicht mehr weiter befördern. Das heißt, wieder ist Führung das oberste, das wollen alle hin, weil das ist am meisten angesehen, da kriegt man das meiste Geld, aber nicht alle sind gleich gut darin. Mich würde wieder interessieren aus deiner Forschung in der Kalahari Wüste bei den Ju/’hoansi, wie wird dort Führung in der Gemeinschaft gelebt? Wie kristallisiert sich heraus, dass einer eine Führungspersönlichkeit ist? Oder wie funktioniert das dort überhaupt?
BETTINA LUDWIG: Es gibt keine Führungspersönlichkeiten, denn es gibt kein Konzept von Hierarchie. Das heißt, es gibt keine klassische Anführerin, keinen klassischen Häuptling, jemanden, der auf den Tisch haut und sagt: »So machen wir das«, sondern alle entscheiden immer gemeinschaftlich. Jeder fühlt sich ganz stark selbst, obwohl es kein Konzept oder keine Begrifflichkeit, auch keine Vokabel für Individuum gibt und die Menschen sich viel mehr als Teil der Community wahrnehmen anstelle eines Individuums. Es gibt diesen Satz in der Ubuntuphilosophie, der sehr gut ausdrückt, was vor Ort passiert: »I am because we are.« Das gilt für uns immer noch genauso. I am because we are.
MARI LANG: Es gibt ganz viele Organisationen, die bereit sind, in eine Transformation zu gehen, die erkennen, dass es nach dem alten Muster nicht mehr weitergehen kann. Vielleicht zum Schluss noch, Lothar, wie können in Organisationen solche Räume, die Bettina beschrieben hat, geschaffen werden, damit Vertrauen entstehen kann, wenn es vorher vielleicht noch nicht da war? Damit Menschen in Beziehung gehen können, damit so was wie Verbundenheit gespürt werden kann und auch Selbstführung gelehrt werden kann und gelebt werden kann?
LOTHAR WENZL: Letztlich ist das alles, was wir tun. Wir bezeichnen das als Transformationsbegleitung und Transformationsmanagement in Organisationen. Wenn die Organisation ihren Autopiloten verändern muss oder will, versuchen wir nichts anderes als Räume aufzubauen, sehr häufig in kreisförmigen Strukturen, in denen Dialog möglich wird. Das sind völlig neue Arten, wie die Organisation zusammenkommt, denn das ist viel komplexer als eine Familie. Das heißt, dort muss ich Strukturen einführen, die es ermöglichen, über wichtige Dinge Einigkeit herzustellen, um wieder weitergehen zu können. Ich sage es ganz einfach. Das heißt, wir ziehen Mikrokosmen aus der Organisation heraus. Querschnittsgruppen aus unterschiedlichen Bereichen, kundennah, kundenfern, oben, unten, innen, außen, wie immer man es beschreiben will, um die mit Fragen zu beschäftigen, die entweder gleich entschieden werden können oder vielleicht woanders noch anders entschieden werden. Letztlich geht es nur um die Frage, wie organisieren wir für Selbstwirksamkeit und für Selbstorganisation, in dem Sinne, dass Menschen ihr Engagement dieser Organisation zur Verfügung stellen oder geben können, im wahrsten Sinne des Wortes. Letztlich geht es die ganze Zeit um Energie. Wie geben wir uns und Energie in etwas Größeres hinein, sodass es zu etwas führt?
MARI LANG: Welche Strukturen müssen wir bauen, damit die Menschen geben können?
LOTHAR WENZL: So ist das.
BETTINA LUDWIG: Da müssten aber auch viele Arbeitgeber diesen Blickwinkel auf Mitarbeiter*innen auch bekommen. Ich erlebe es nicht so, dass Mitarbeiter*innen so gesehen werden, wow, was können die mir als Arbeitgeber geben? Sondern es ist mehr so ein, was kann ich nehmen, damit ich möglichst viel Profit und Erfolg habe.
LOTHAR WENZL: Wir sind auf dem Weg dorthin, weil sie sehen, es geht gar nicht mehr anders. Die Menschen verweigern Zugehörigkeit und Gefolgschaft immer mehr. Oder sind dort zugehörig und fühlen sich dort zugehörig, wo sie gesehen werden, als Mensch gesehen werden, wo sie beitragen können, ihres machen können im Zuge des Gesamten. Dafür versuchen wir Organisationsstrukturen, Räume, Rahmenbedingungen zu schaffen oder Empfehlungen zu geben, weil viele Organisationen wollen das, sie wissen noch nicht wie.
BETTINA LUDWIG: Genau das nehme ich auch wahr. Ich glaube auch, dass wir auf einem Weg sind. Wir befinden uns bereits auf diesem Weg. Ich nehme es genauso wahr, wie du sagst. Die sehen, es geht nicht anders, weil so viel Unternehmen suchen Mitarbeitern. Es herrscht die ewig schwierige Frage, wie kommen wir zu Mitarbeitern? Da ist etwas im Gange. Auf der anderen Seite muss ich sagen, habe ich schon einen sehr hohen Anspruch an die Menschen in unserer privilegierten Bubble in der westlichen Welt. Das ist die privilegierteste Bubble des gesamten Planeten in der gesamten Menschheitsgeschichte und, ich glaube, wir dürfen unseren Anspruch ein bisschen höher setzen, weil jeder Mensch hat nicht nur einen ökologischen Fußabdruck, sondern auch einen Handabdruck. Das, was du tagtäglich in deiner Arbeit, in deinem Beruf tust, hat eine Auswirkung auf die Welt. Ich glaube, dessen muss man sich auch bewusst werden. Ich nehme da nicht nur Arbeitgeber, sondern auch die Arbeitnehmer in die Pflicht, ehrlich gesagt. Jeder leistet einen Beitrag, das muss einem klar sein, und die Frage ist, welchen Beitrag leistet man? Es hat nicht jeder die gleichen Möglichkeiten, aber in unseren privilegierten Bubbles, nicht nur unseren drei, sondern die westliche Welt, wir sind ein mini kleiner Teil dieser Welt, aber wir haben so viele Möglichkeiten und Chancen. Wir müssen den eigenen Anspruch ein bisschen höher schrauben.
LOTHAR WENZL: Da bin ich ganz bei dir. Jede einzelne Begegnung, die wir gestalten, die wir haben, kann zu einem unglaublich tollen Moment werden, der die Welt wieder etwas verändert, und zwar in beide Richtungen.
MARI LANG: Ich habe heute ganz viele Bilder bekommen in Bezug auf Liebe und Wirtschaft und wie das ausschauen kann und könnte. Ein bisschen skeptisch bin ich immer noch.
BETTINA LUDWIG: Sehr gut.
MARI LANG: Vielleicht hilft es mir aber, denn ich bin ein Fan von Geräuschen und wir stellen unsere Gäst*innen oft mit Geräuschen vor. Zum Schluss würde ich gerne noch wissen, wenn Liebe ein Geräusch wäre, was wäre das?
BETTINA LUDWIG: Soll ich das Geräusch nachmachen oder beschreiben?
MARI LANG: Wenn du es nachmachen kannst, ist es noch besser.
BETTINA LUDWIG: Ich würde es gerne nachmachen. Da müsst ihr kurz leise sein, denn das ist ein leises Geräusch. Das ist das Geräusch von Liebe für mich gerade. Ich frage dich auch, Lothar. Das ist witzig. Wie kommst du auf das? Das musst du mir beschreiben. Ich dachte kurz, die Stille ist das Geräusch der Liebe. Das hat mir gut gefallen, aber beschreibe uns bitte das. Wie kommst du auf das?
LOTHAR WENZL: Ich liebe etwas und das zergeht mir auf der Zunge, auf den Lippen, aber schon auch küssen. Das gehört auch dazu.
BETTINA LUDWIG: Das ist spannend.
MARI LANG: Mein kleiner Feldversuch bestätigt natürlich genau das, was ich zu Beginn gesagt habe. Ich glaube, würden wir noch viel mehr Menschen fragen, würden die ganz andere Geräusche machen.
BETTINA LUDWIG: Das wäre cool, Geräusche der Liebe aufnehmen. Das ist eine super Idee.
MARI LANG: Wir haben hier nicht nur einen Geräuschevorrat, sondern einen imaginären Wertesetzkasten in unserem Podcast, der sich immer mehr füllt. Ich glaube, in der letzten Folge war ein Wert Mut. Transparenz war letztes Mal auch dabei. Bettina, welchen Wert möchtest du uns heute hier da lassen?
BETTINA LUDWIG: Das ist Zugehörigkeit. Das ist ganz eindeutig das größte Thema für mich. Es ist ein zentrales Thema, wenn es um gesellschaftlichen Wandel geht.
MARI LANG: Vielen lieben Dank fürs Kommen, Bettina. Danke für diese spannenden Einblicke in deine Arbeit.
BETTINA LUDWIG: Ich danke euch.
LOTHAR WENZL: Danke dir. Das war wunderbar.
MARI LANG: Und ich danke euch auch für das Zuhören. Wenn euch das Gespräch gefallen hat, lasst uns bitte eine fünf Sterne Bewertung da oder abonniert die Schöne und das Biest am besten gleich, um keine Folge mehr zu verpassen. Bis zum nächsten Mal, sagen Mari Lang und.
LOTHAR WENZL: Der Lothar Wenzl.
MARI LANG: Das war die Schöne.
LOTHAR WENZL: Und das Biest.
MARI LANG: Ein Podcast von.
LOTHAR WENZL: Mari Lang.
MARI LANG: Und Trainconsulting Geschäftsführer Lothar Wenzl.