Der Trainconsulting Buchtipp

Der Stoff aus dem wir sind

Fabian Scheidler
Der Stoff, aus dem wir sind.
Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen

Piper Verlag 2021

Fabian Scheidler holt weit aus, wenn er über uns Menschen und unsere Paradigmen schreibt. In seinem neuen Buch »Der Stoff aus dem wir sind«, geht er jenem Teil unserer Weltsicht auf den Grund, die davon ausgeht, der zivilisierte Mensch könne mit Technik und Wissenschaft die Natur beherrschen. Warum diese reduzierte, mechanistische Denke zerstörerische Folgen hat, und wie wir unsere Beziehung zur Natur neu denken können, davon handelt dieses Buch.

»Dass Menschen Musik schaffen und wahrnehmen können, ist ein Spiegel der Tatsache, dass sie selbst aus etwas bestehen, das der Musik ähnlich ist.«

Unsere Vorstellung von der maschinenartigen, berechenbaren Welt erweist sich zunehmend als folgenreicher Irrtum, und dennoch versuchen wir weiterhin, mit technologischen Mitteln die Krisen unserer Zeit zu meistern. Dass wir mit Geo-Engineering wohl keine Klimakrise entschärfen können, scheint absehbar, und doch laufen die Bemühung dahingehend auf Hochtouren. Warum ist das so?

Fabian Scheidlers Diskurs beginnt bei den Anfängen von Wissenschaft und Forschung, als man aus Beobachtungen Vermutungen und daraus Berechnungen ableitete. Frei nach Foucault (»Jede Wahrheit ist nur unwiderlegbar gewordener Irrtum[1]«) dekonstruiert Scheidler dieses mechanistische Weltbild auf eindrucksvolle Weise.

»Lebende Systeme beruhen auf komplexen Wirkungskreisen, bei denen jeder Teil zugleich Ursache und Wirkung sein kann. Zerlegt man diese ineinander verschlungenen Kreisläufe in einzelne Kausalvorgänge, um lineare Gleichungen vom Typ »aus A folgt B« zu erhalten, dann versteht man zwar die Details immer genauer, das Ganze aber immer weniger.«

Kausale Zusammenhänge á la immer wenn X, dann Y liefern uns im Bereich des Lebendigen keine brauchbaren Erkenntnisse. Kompliziertes mit Komplexem zu verwechseln, zieht sich auch durch die Irrwege der Wissenschaft, von denen Fabian Scheidler einige eindrückliche Beispiele erzählt.

Und letztlich liefern alle wissenschaftlichen Erkenntnisse uns keine Antworten auf die Fragen, was Leben ist, wie das Neue in die Welt kommt, wie das Er-Leben und die Innenwelt einer Eidechse aussieht oder welche Sinneseindrücke eine andere Person wahrnimmt.

Die Conclusio: Die Innenwelten und das qualitative Er-Leben von lebenden Systemen sind mindestens genauso bedeutsam wie das Mess- und Zählbare. Das demütige Anerkennen der Grenzen dessen, was wir verstehen und berechnen können, ist die Grundlage für ein neues Verständnis von uns Menschen – als Teil der Natur.

Und was hat all das mit schönen Organisationen und tiefgreifendem Wandel zu tun – und wie können wir ihn gestalten? Darüber hat sich Pia Hofmann mit dem Autor Fabian Scheidler am Pfingstsymposium 2022 in Schrems unterhalten – bei einem Barfuß-Spaziergang durch den Wald. Das vollständige Interview in Schrift und Ton.

[1] Vollständiges Zitat: »Die Wahrheit ist ein Irrtum, der nicht mehr abgewiesen werden kann, weil er durch eine lange Geschichte hartgesotten wurde.« Aus »Nietzsche, die Genealogie, die Historie«; Michel Foucault

Pia Hofmann

Pia Hofmann

Systemische Beraterin und Maschinenbauingenieurin. Beschäftigt sich viel und gerne mit den Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Die Herausforderungen der Kreislaufschließung kennt sie sowohl aus technischer wie auch beraterischer Perspektive.

p.hofmann@trainconsulting.eu
+43 660 495 66 59