New Work

4 Prinzipien für ein Beautiful Business

Impressionen aus Lissabons »The House«, einer etwas anderen Konferenz

»The House of Beautiful Business«, eine Konferenz und globaler Think Tank »to humanize business in the age of machines«, findet seit drei Jahren parallel zum Web Summit in Lissabon statt. Mit den 500 »Residents«, wie die Teilnehmenden genannt werden, fühlt sich diese Konferenz schon fast familiär an, wenn ich an die 70.000 Web Summit-Teilnehmerinnen gleich nebenan denke. Das Zusammenkommen all dieser »postdigitalen Rebellen«, wie sie Matthias Horx wohl nennen würde, erinnert mich an das gallische Dorf aus Asterix & Obelix. 

Als Digital Natives bzw. Immigrants sind diese »tapferen Gallier« keineswegs technologiefeindlich. Sie wollen vielmehr den technologischen Wandel im Sinne eines humanistischen Upgrades neugestalten. Gemeinsam soll der Zaubertrank gebraut werden, der notwendig sein wird, um Google, Facebook & Co die Stirn zu bieten.

Jede(r) Teilnehmende gibt sich auf dieser Konferenz eine bestimmte Rolle. So begegne ich Humanist Changemakers, Business Romantics oder Curious Tech Creators… In diesen Rollen wird in den verschiedenen Workshops zugehört, diskutiert und spielerisch agiert. Alles dreht sich hier um einen radikalen Wechsel der Wirtschaftspraxis, um eine neue Zusammenarbeit untereinander und der Menschen mit Maschinen, wobei laufend der Einfluss auf die Systeme Mensch, Organisation und Gesellschaft mitreflektiert wird.

Vier Tage als »Resident of the House« hat starke Eindrücke hinterlassen. Spürbar hat sich die Sehnsucht nach einer »schöneren« Wirtschaftswelt und der Wille auch dafür zu kämpfen, wie ein roter Faden durch die Impulsvorträge, Workshops, Exkursionen und Art Performances durchgezogen. Eine Welt, in der Mensch, Maschine und Natur in Einklang miteinander agieren. Die Tiefe der inhaltlichen Auseinandersetzung war unterschiedlich – das Herzblut am Thema jedoch durchgehend tief spürbar. Eines wurde ebenfalls deutlich: Eine aktive, gestaltende, mutige Rolle von Unternehmen wird essenziell auf diesem Weg sein. 

Im Folgendem versuche ich die Essenz dieser Konferenz in vier Prinzipien mit ihren dazugehörigen Annahmen und Haltungen zu gießen. Ergänzend dazu schildere ich jeweils GOOD NEWS, konkrete Beispiele aus der Konferenz, womit Organisationen gute Erfahrungen gemacht haben. Diese Prinzipien geben Unternehmen Orientierung und Kraft, auf dem Weg gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Verantwortung zu übernehmen – das erfordert allerdings eine große Portion Mut – »for a beautiful business in a better world«

Dieser Artikel entstand ursprünglich in Englisch auf der Konferenz. In der Überarbeitung entschied ich mich für Deutsch, nur die Prinzipien ließ ich in Englisch, da mir die deutsche Übersetzung zu kraftlos wirkte.

Die 4 Prinzipien

PRINZIP 1 – We change from a tech driven to a human driven business

«We shape our tools and thereafter our tools shape us.« John Culkin, Professor of Communication at Fordham University in New York (1967)

  • Wir sehen Liebe und Leidenschaft als energetische Quellen unserer Handlungen und als das Herz der Wirtschaft. Die Beziehung zu unserer Arbeit ist zutiefst sinnlich.
  • Als Gegenstück zu künstlicher Intelligenz schätzen wir die menschliche Verspieltheit, Kreativität und Verrücktheit.
  • Wir machen als Menschen die Dinge nicht immer gleich. Sinnvolle Abweichungen, selbst wenn es erfolgreiche Routinen sind, sind die Basis für Innovation.
  • Die Fähigkeit, Arbeit zu verweigern ist eine menschliche Stärke, die Algorithmen nicht leisten können.
  • Wir sind uns der Komplexität menschlicher Entscheidungsprozesse bewusst, die außerhalb rationaler Logiken stattfindet und Emotionen mitberücksichtigt.
  • Wir nutzen Technologien, um Prozesse einfacher und schneller zu machen und Daten auszuwerten. Diese Daten sind Grundlage für unsere verantwortungsvollen, menschlichen Entscheidungen.
  • Wir sind uns bewusst, dass Technologie nie »politisch unschuldig« ist.
GOOD NEWS für humanen Einsatz von Technologie

Dara Dotz, eine junge Industrial Designerin, die die private Technologiebranche verlassen hatte, nachdem sie erkannt hatte, dass unser blindes Vertrauen in Technologie uns mehr schadet als nützt, erzählte auf der Konferenz von einigen Projekten einer von ihr mitgegründeten Organisation.

»Field Ready« hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen in Katastrophengebieten mit technologischem Wissen zu versorgen, um mit vorhandenen Mitteln in Co-Kreationsprozessen ihre Not zu lindern. So wurden zum Beispiel für entlegene Erdbebengebiete auf Haiti 3D-Drucker entwickelt, um Wasserleitungsarmaturen oder Teile zur medizinischen Versorgung herzustellen, da der Transport in diese Gebiete scheiterte.

Unter noch extremeren Bedingungen arbeiten die Weißhelme. Die 2013 entstandene Freiwilligengruppe, die im Syrienkrieg Menschen aus ihren zerbombten Häusern rettet, wendeten sich an Field Ready. Ihre Herausforderung war, dass die Spalten eingestürzter Gebäude, durch die sie die Verschütteten herauszuziehen versuchten, oft um wenige Zentimeter zu klein waren. Voll ausgerüstete Erdbebenhilfstruppen haben dafür technische Hilfsmittel, wie mobile Hebevorrichtungen. Das minimalste Set dafür kostet jedoch schon 5000 Euro und die Chance so etwas auch nach Syrien zu bringen war gleich null. Field Ready nahm die Herausforderung an und die Ingenieure in Kalifornien starteten mit den Weißhelmen in Syrien einen Design Thinking Prozess. Es konnten nur Materialen, die vor Ort vorhanden waren, verwendet werden, wie z.B. Fußmatten, Kabel und sonstige Teile der zahlreich zerstörten Autos. Nach vielen Fehlversuchen schafften sie schlussendlich eine Art Airbag zu entwickeln, der es schaffte Tonnen von Beton die notwendigen paar Zentimeter zu heben, um viele Menschenleben zu retten. https://spark.adobe.com/page/Ivb8wXmOuz0UJ/

PRINZIP 2 – We focus on our purpose, not on financial profit

«On the face of it, shareholder value is the dumbest idea in the world.«
ein geläuterter Jack Welsh (2009), ehem. CEO of General Electric, 1981 einst Ikone der Shareholder Value Bewegung

  • Wir sind uns der Spannung zwischen purpose- und profitgetriebenen Entscheidungen bewusst und stellen den Sinn & Zweck immer in den Vordergrund.
  • Wir wollen soweit Gewinn machen, um das Überleben und die Weiterentwicklung der Organisation zu sichern, jedoch ist das Streben nach Gewinn kein fundamentales Anliegen.
  • Wir begegnen unseren Kunden, Lieferanten und Mitarbeiterinnen auf Augenhöhe und achten darauf, dass unser Gewinn nicht auf ihre Kosten geht.
  • Wir dienen keinen Shareholdern, deren einziges Ziel es ist, Gewinne abzuschöpfen.
  • Unsere Jahresberichte bestehen aus Geschichten unserer Erfolge und Niederlagen auf dem Weg unseren Purpose zu erfüllen. Umsatz und andere finanzielle Kennzahlen werden am Rande erwähnt.
  • Wir sind überzeugt, dass der Widerspruch von Profitabilität und Humanität in der Wirtschaft aufgrund hinderlicher Grundannahmen besteht.
GOOD NEWS zum Umgang mit Gewinn eines französischen Software-Unternehmens

Nach einem Vortrag über neue Zugänge zu Profitabilität berichtete eine Teilnehmerin über Ihre Erfahrungen. In ihrem Unternehmen entschied das Management vor drei Jahren, die Prämisse der Gewinnmaximierung aufzugeben.  

Am beeindruckendsten war, wie sich schlagartig das Verhältnis des Managements zu den Mitarbeitenden verbesserte und Spannungen abnahmen bzw. besser bearbeitbar wurden. Auch die bereichsübergreifende Zusammenarbeit wurde entspannter und effektiver. Ganz konkret in Zahlen konnte man eine Verringerung der Krankenstände, aber auch der getätigten Überstunden messen. Die größte Überraschung war, dass der Unternehmensgewinn in den folgenden Jahren stärker stieg als zuvor.

PRINZIP 3 – We strive for impact instead of efficiency

«Don’t waste your time with efficiency!« 
The House of Beautiful Business, einer der Grundsätze der Konferenz (2019)

  • Wir halten reine Effizienz für ineffizient.
  • Wir schauen auf Wirkung statt auf smarte Zielerreichung.
  • Nicht »so schnell, wie möglich« ist das Credo, sondern die Qualität gezielt eingesetzter Entschleunigung bzw. Beschleunigung.
  • Wir halten »Zeitverschwendung« für eine Voraussetzung für Kreativität und Innovation.
  • Wir wissen, dass das menschliche Gehirn oft Probleme löst und die besten Ideen hat, während wir eine Pause machen, einen »arbeitsfreien« Tag nehmen oder gar schlafen.
  • Wir achten darauf, dass niemand bei uns zu viel und zu hart arbeitet.
  • Wir werden uns immer öfter auf die Suche machen, ohne zu wissen, wonach wir suchen.
GOOD NEWS: Der Workshop «Imagining New Value«

Wir achten darauf, dass niemand bei uns zu viel und zu hart arbeitet.« Dieser Satz findet sich wahrscheinlich in noch keinem Leitbild eines Unternehmens. Und doch beschäftigen sich fast alle Menschen intensiv mit dieser Thematik. Bronnie Ware, eine australische Palliativkrankenschwester, hat 8 Jahre lang erforscht, was Menschen am Sterbebett in verschiedenen Kontinenten am meisten bereuen, wenn sie auf ihr Leben zurückblicken: »Ich wünschte ich hätte nicht so viel gearbeitet.« steht ganz oben auf der Liste.

Die Erkenntnisse aus Bronnie Wares Arbeit nahm sich Jessica Orkin (President of SY Partners und in der Rolle als »Business obsessed Humanist« auf der Konferenz) und ihr Kollege Thomas Winkelmann zu Herzen. Sie leiteten daraus fünf fundamentale Elemente ab: Zeit, Identität, Freiheit, Verbundenheit und Wachstum. Dazu arbeiteten sie in einem berührenden Workshop mit uns. Wie gehen wir momentan im Wirtschaftsleben mit diesen Elementen um? Wie müssen wir Organisationen gestalten, um mit diesen Elementen menschlicher und verantwortungsvoller umzugehen?

Inspirierende Ergebnisse lieferte die kleine Visionsarbeit dazu, wie zum Beispiel zum Element Zeit: »Ruhe und Erholung haben Priorität bei uns und sind kein notwendiges Ergebnis von zu viel Arbeit.«

PRINZIP 4 – We put ethics at the soul of our business

»Technology is not neutral. We’re inside of what we make, and it’s inside of us.«
The Cyborg Manifesto, Donna J. Haraway, University of California, Santa Cruz (1984)

  • Wir sehen unsere Verantwortung immer im größeren Kontext und sind uns aller auch indirekten Auswirkungen unserer Entscheidungen bewusst.
  • Wir schaffen Rahmenbedingungen für sinn- und verantwortungsvolle Arbeit.
  • Alle unsere zentralen Entscheidungen sind in Übereinstimmung zu den SDGs (Sustainable Developement Goals)
  • Wir messen unsere Produkte, Dienstleistungen, Technologien, insbesondere die dahinterliegenden Algorithmen laufend nach ethischen Kriterien.
  • Wir wissen, dass Technologie unser Verhalten und in Folge auch unsere Kultur formt.
  • Wir fordern von unseren Stakeholdern, aktiv Verantwortung für unseren Planeten zu übernehmen.
  • Wir sind uns der politischen Relevanz unserer Handlungen bewusst.
GOOD NEWS: Ein nützliches Instrument

Schon 1980 hat der Futurist und Global Citizen Activist Hazel Henderson anlässlich der Konferenz: »Technology – Over the Invisible Line« begonnen, sich mit den »Reasonable Questions for Technology« auseinanderzusetzen. Diese wurden in Folgekonferenzen weitergedacht und waren auch im »House of Beautiful Business« Grundlage einiger Diskussionen. Sinn und Zweck ist es, technologische Entwicklungen in einen wesentlich weiteren Kontext als bisher üblich zu setzen. Diese Fragen lassen sich nicht nur auf Technologien anwenden, sondern auf jegliche Produkte oder Dienstleistungen. Sie fokussieren auf die Auswirkungen auf sozial-gesellschaftliche, ökologische und wirtschaftliche Umfeldsysteme. Somit kann und sollte sich jede Organisation diese Fragen stellen.

Der finale Leitfaden »Reasonable Questions for Technology« wurde von Stephanie Mills, Autorin und Redakteurin, u.a. des Millenium Whole Earth Catalogs, editiert und im Buch »The Book of Beautiful Business« veröffentlicht. 

Stephanie Mills trug insgesamt 78 Reasonable Questions zusammen. Hier ein Auszug:

  • Welche Auswirkungen hat unsere Technologie auf die Beziehungen der Nutzerinnen? Dient es der Gemeinschaft?
  • Unterstützt es die Vielfalt von Meinungen und deren Dialog?
  • Welche Werte werden dadurch gestärkt bzw. geschwächt?
  • Welche Nebenwirkungen könnte es geben?
  • Was ersetzt unser Produkt bzw. geht verloren, wenn man/frau es nutzt?
  • Welchen Einfluss hat unsere Dienstleistung auf die menschliche Kreativität?
  • Welchen Einfluss hat es auf die Qualität von Leben?
  • Welche Suchtgefahr besteht bei den Nutzerinnen?
  • Welche zusätzlichen Kosten entstehen der Gemeinschaft?
  • Verteilt unsere Technologie Macht oder konzentriert sie Macht?
  • Welche Effekte hat unser Produkt auf die Gesundheit des Menschen und unseren Planeten?
  • Wieviel Müll und welcher wird damit produziert?

Was lösen diese Gedanken bei Ihnen aus? Können Sie sich vorstellen Ihre Organisation nach diesen Prinzipien umzugestalten? Was wäre dann anders?
Womit haben Sie schon gute Erfahrungen in dieser Richtung gemacht?

Schreiben Sie mir Ihre Erfahrungen und Gedanken dazu.

Portrait von Thomas Schöller

Thomas Schöller

Reshaping organisations in todays dynamic-complex world to make business more beautiful.

t.schoeller@trainconsulting.eu
+43 664 395 14 86