»Dank tiefer Wurzeln blicken wir vertrauensvoll in die Zukunft.«

Die Konzerntochter in Ungarn hat anscheinend einen wesentlichen
Grundwert vom Mutterkonzern
geerbt: Das Vertrauen in eine langfristig erfolgreiche Zukunft. Das ermöglicht Veränderungsprozesse, die für andere Unternehmen oft schwerer umsetzbar sind.
Heute ist Gebrüder Weiss Ungarn ein Vorreiter in Wissenstransfer und automatisierten Projekten für den ganzen Konzern.
500 JAHRE VERTRAUEN
Die Geschichte von Gebrüder Weiss beginnt bereits 1487 mit den Lindauer Boten, die die Handelszentren Mailand und Lindau miteinander verbanden. Fast eine Woche waren die Boten damals unterwegs, auf sich allein gestellt und doch mit einem klaren Auftrag. Heute würden wir uns kaum vorstellen können, von Mitarbeitenden eine Woche lang nichts zu hören oder zu sehen und dennoch auf eine erfolgreiche Aufgabenerfüllung zu vertrauen. Doch genau dieses Vertrauen prägt Gebrüder Weiss seit Jahrhunderten. Das Unternehmen hat eine lange Tradition, auf den Erfolg auch auf langen Wegen zu vertrauen. Diese Wurzeln wirken auch in einer tief verankerten Unternehmenskultur, die heute als Leuchtturm für viele andere Organisationen dient.
DIE TOCHTER IN UNGARN
1989 streckte Gebrüder Weiss – damals noch unter dem Namen Hungaroweiss Kft und ab 2005 Gebrüder Weiss Kft – seine Fühler nach Osteuropa aus und gründete den ersten Standort. Über die Jahre wuchs das Unternehmen beständig und verfügt heute über neun Standorte und rund 450 Mitarbeitende in Ungarn. Der Standort hat sich zu einem zentralen Hub für Mittelosteuropa (MOEL) entwickelt und gilt als einer der modernsten im gesamten Konzern. Die erste Anfrage an Trainconsulting war, Großgruppenmethoden zu lernen und ins Unternehmen zu integrieren. Aber die dahinterliegende Frage musste zuerst geklärt werden: Warum und wofür wollte Gebrüder Weiss Ungarn Großgruppenmethoden einsetzen? Was wird mit der Unterstützung der Methode ermöglicht, welche Veränderung soll damit entstehen? In den ersten
Workshops mit der Steuergruppe haben die beiden Beraterinnen Anita Lung und Elvira Kalmár den Auftrag nachgeschärft und haben den Schwerpunkt auf die Stärkung der internen Zusammenarbeit, der Eigeninitiative sowie der Entscheidungsfähigkeit im mittleren Management gelegt. Dem »Warum« genug Raum zu geben, war an dieser Stelle des Projekts ein ganz wesentlicher Punkt: Nur mit einem gemeinsamen, festgelegten Sinn konnte ein guter Plan mit überprüfbaren Zielen entwickelt werden.

Konzern Gebrüder Weiss im Überblick (2024)
- 8.700 Mitarbeitende
- 2,71 Milliarden € Umsatz
- 180 Standorte
Gebrüder Weiss Ungarn (2024)
- 420 Mitarbeitende
- 8 Standorte
WENIG ENTSCHEIDUNGSFREUDE IM MITTLEREN MANAGEMENT
Das Ziel war, mehr Aktivität und Eigeninitiative im mittleren Management zu entfalten. Balint Varga, Geschäftsführer von Gebrüder Weiss in Ungarn, betont: »Unsere Leute haben ein enormes Potenzial. Wir möchten dieses Potenzial voll ausschöpfen.« Dieser Anspruch bildete die Grundlage für das Projekt.
EIN WACHSTUM MIT HERAUSFORDERUNGEN
Das schnelle Wachstum von Gebrüder Weiss Ungarn brachte mehrere Herausforderungen mit sich. Innerhalb kurzer Zeit verdoppelte sich der Umsatz, und die Zahl der Mitarbeitenden wuchs signifikant an. Dieser plötzliche Anstieg führte zu einer hohen Arbeitsbelastung und einem Mangel an Eigeninitiative in vielen Bereichen. Die Struktur des Unternehmens konnte mit der Geschwindigkeit des Wachstums nicht Schritt halten, was zu einer fehlenden Verbindung zwischen den Abteilungen führte. Die zentrale Frage war: Wie kann das Unternehmen sein Organisationsdesign so anpassen, dass es das Wachstum effektiv bewältigt und gleichzeitig die Zusammenarbeit stärkt?
APPRECIATIVE INQUIRY
Veränderung beginnt, sobald wir anfangen, neue Fragen zu stellen. In der ersten Phase wurde mit Appreciative Inquiry gearbeitet, das als Philosophie, Methode und Prozedere das vereinte, was vom Auftraggeber gewünscht war: Den Fokus nicht auf Defizite zu richten, sondern neue Entwicklungen einzuleiten. Mithilfe von Interviews wurde ein möglichst vollständiges Bild der bisherigen Erfolge aufgezeichnet. Dabei konzentrierten sich alle auf die Stärken, Erfolge und Potenziale der Organisation. Das mittlere Management kam dabei auch sofort ins Tun und übernahm Verantwortung für diese Interviews. Auffällig war sofort, dass vieles, was gut gelang, früher als selbstverständlich betrachtet wurde und daher kaum zur Sprache kam. Diese Methode hat auch das Ansehen der HR-Abteilung erhöht und insgesamt dem Team mehr Selbstvertrauen gegeben und die Kollegialität verstärkt. Eine 14-köpfige Forscher:innengruppe hat in 127 Interviews alle unterschiedlichen Stellen und Rollen beleuchtet. Dieser umfassende Ansatz hat viel neues Wissen generiert und auch zu mehr Freude bei den Mitarbeitenden geführt. Zum Beispiel wurden auch Lagermitarbeitende in der Nachtschicht von der HR-Leitung interviewt und haben sich dadurch sehr wertgeschätzt gefühlt. Das mittlere Management hat hier begonnen, die Wirkungskraft einer fragenden und neugierigen Haltung zu erkennen.
Bálint Varga, Geschäftsführer von
Gebrüder Weiss in Ungarn

»Das Programm hat uns wirklich geholfen, wieder Brücken zwischen den Abteilungen zu bauen.«
LOKALE SPRACHE ALS WICHTIGER ERFOLGSFAKTOR
Mit der Organisationsentwicklung hat das Unternehmen einen neuen, noch unbekannten Weg eingeschlagen, der auch viele Emotionen von Freude bis Sorge ausgelöst hat. Das gesamte Projekt wurde auf Ungarisch realisiert und hat damit dafür gesorgt, dass diese emotionale Seite von den Mitarbeitenden in ihrer Muttersprache bearbeitet werden konnte. So fanden auch Wortspiele und Humor ihren Platz – ein wichtiges Vehikel, das auch die Kreativität beflügelte.

Das Projekt hat gleich zu Beginn einen Namen bekommen: Orange Coffee House. Ein kreativer Raum für Ideenaustausch, der die Kommunikation innerhalb des Teams verbesserte. Die Mitarbeitenden haben gleich zu Beginn ein starkes Symbol erschaffen, über das alle im Unternehmen gesprochen haben. Es gab kein echtes Kaffeehaus, aber Zeit und Aufmerksamkeit füreinander.
GROSSGRUPPENMETHODEN UND ANDERE TOOLS
Das stärkste Moment der Veränderung einer Praxis ist die Praxis selbst. Mit dem Wissen aus den Interviews wurde begonnen, die erste Leadership-Konferenz zu planen, wo alle 45 Führungskräfte an zwei Tagen gemeinsam arbeiten konnten. In der Konferenz konnte das gesamte Führungsteam eine neue gemeinsame Perspektive auf die eigene Organisation gewinnen. Das Reflektieren des eigenen Tuns ist ein entscheidendes Momentum auf dem Weg zur lernenden Organisation. Bildhaft gesprochen: Das Führungsteam hat sich von der Tribüne aus das eigene Spiel angeschaut. Auch die intensive Vorbereitungsarbeit in Kleingruppen hat wesentlich zum Gelingen des Projekts beigetragen. Denn die tatsächliche Veränderung fand in den Arbeitsgruppen statt – ein gemeinsamer Lernraum, den die Beteiligten selbstorganisiert gestaltet haben. Dort haben sie bereits in der gewünschten Art und Weise zusammengearbeitet – ganz im Sinne eines präfigurativen Handelns.
Das zentrale Learning war: »Eine gute Vorbereitung ist die Grundlage – die Konferenz selbst ist die Krönung.« Anita Lung und Elvira Kalmar haben verschiedenste Ansätze von Whole ScaleTM Change, Elemente von Holocracy und einzelne agile Methoden in die Kleingruppenarbeit eingebracht, um situationsangepasst den Wandel zu begleiten. Der Organisationsprozess hat sich dabei immer wieder von Kleingruppen zur Großgruppe verdichtet, um sich dann wieder in Kleingruppen aufzuspalten und mit neuem Inhalt in die nächste Großgruppe zu wechseln.

Was ist Holocracy?
Holacracy ist ein System zur Organisationsführung, das traditionelle Hierarchien ersetzt. Stattdessen arbeiten Teams in selbstorganisierten Kreisen mit klaren Rollen, die flexibel an Bedürfnisse angepasst werden. Entscheidungen werden dezentral getroffen, was Transparenz, Agilität und Eigenverantwortung fördert. Die Struktur erlaubt schnelle Anpassungen und stärkt Eigeninitiative. In dem Projekt haben die Arbeitsgruppen nach dieser Logik gearbeitet.

DIE VIER GROSSEN THEMEN
Im ersten Jahr des Projekts ging es darum, die Energie im Unternehmen zu erhöhen und mehr Initiative bei den Führungskräften zu ermöglichen. Der Wandel zeichnete sich besonders im mittleren Management ab: Ehemalige Sachbearbeiter:innen, die in ihren Herzen stets Sachbearbeiter:innen geblieben waren, entwickelten eine neue Dynamik und setzten positive Energie frei. Das mittlere Management agiert nun zunehmend eigenständig und trifft Entscheidungen selbstbewusst und aktiv. Daraus haben sich die weiteren Jahresthemen ergeben: Im zweiten Jahr wurde ein Fokus auf die Form der Zusammenarbeit gelegt. Das Unternehmen war stark gewachsen, und die Strukturen und Abläufe passten nicht mehr. Wieder wurden in Kleingruppen die Themen erarbeitet, in fünf Arbeitsgruppen ausgearbeitet und schließlich bei der Leadership-Konferenz präsentiert und verinnerlicht. Die Konferenz ist zwar das Großevent, wo viel Energie sichtbar wird, aber die meiste Arbeit steckt in den vielen vorbereitenden Treffen, den Arbeitsgruppen und der Steuergruppe. Das dritte Jahr stand im Zeichen von Leadership Development. Zu Beginn wurde ein 360° Führungskräfte-Assessment angestoßen. Ziel war es, eine differenzierte Sicht auf das Führungsverhalten zu gewinnen. Mit dem Wissen aus diesem Feedback- und Evaluationsprozess wurde ein individuelles Leadership Development-Programm abgeleitet und konkrete Lernziele vereinbart. Eine Arbeitsgruppe aus Führungskräften hat Learning Journeys organisiert, den eigenen Bedarf nachgeschärft und ein passendes Tool getestet und eingeführt. Das sicherte die Akzeptanz und entlastete die zweiköpfige HR-Abteilung. Die wertvollste Wirkung jedoch war, dass Führung über sich selbst und die eigene Funktion für die Organisation nachgedacht hat. Das hat zu erstaunlich viel Lernen geführt, ganz ohne klassische Trainingsmaßnahmen. Nach der Beschäftigung mit dem Inneren des Unternehmens wurde im vierten Jahr der Blick nach außen auf das Kundenerlebnis gelegt. Im letzten Jahr wurde geübt, diesen Projektschritt ohne Trainconsulting zu bewältigen. Wieder wurde eine Appreciative Inquiry durchgeführt und das Wissen für das Unternehmen sowie den Konzern festgehalten. Die gesamte Leadership-Konferenz wurde zu 99% von Mitarbeitenden geplant, organisiert und durchgeführt. Anita Lung und Elvira Kalmár waren nur noch in einer Sparringfunktion beteiligt. Durch den gesamten Organisationsentwicklungsprozess hat die Führung viel gemeinsames Wissen über sich und das Unternehmen aufgebaut. Es ist gelungen, den Prozess ohne Trainings oder Inputs der Beraterinnen zu gestalten. Das gewünschte Ergebnis entstand in einem präfigurativ geplanten Prozess durch die Arbeit in Kleingruppen.

In den Arbeitsgruppen haben die Führungskräfte eine neue Art der Zuammenarbeit ausprobiert, die dann
langsam auch in die operative Arbeit durchsickerte.
1. Jahresthema
Wie werden
wir initiativer?
- Leadership-Konferenz
- Kleingruppentreffen
- Erkundung mit Appreciative Inquiry
2. Jahresthema
Zusammenarbeit
- Leadership-Konferenz
- Kleingruppentreffen
5 Arbeitsgruppen
- Organisationsstruktur
- Operative Meetings
- Knowledgebase
- Projektmanagement
- Feedbackkultur
3. Jahresthema
Leadership
Development
- Leadership-Konferenz
- Kleingruppentreffen
4 Arbeitsgruppen
- Bestärkende
- Mechanismen & Leadership-Assessment
- Operative Meetings
- Knowledgebase
- Projekt-
management
4. Jahresthema
Kundenerlebnis
- Leadership-Konferenz
- Kleingruppentreffen
3 Arbeitsgruppen
- Kundenerlebnis: Appreciative Inquiry
- Mechanismen-Leadership-Assessment
- Knowledgebase
DIE WICHTIGSTEN ERGEBNISSE
- Die Organisationsstruktur wurde durchleuchtet und ein neues strategisches Gremium ins Leben gerufen.
- Unterschiedliche Einheiten mit direktem Kundenkontakt wurden zu einer zentralen Kundensupportabteilung zusammengeführt, die sich am strategischen Ziel »Customer First« orientiert.
- Tools und Praktiken zur Stärkung der Feedbackkultur wurden eingeführt. Werkzeuge zur Unterstützung der Projektkultur innerhalb der Organisation wurden entwickelt. Praktiken für den Wissens- und Informationsaustausch wurden etabliert.
- Ein neuer Entdeckungsprozess zum Thema Kundenzentrierung wurde gestartet.
- Eine neue Art operativer Meetings wurde eingeführt. Die Tools für Informations- und Wissensaustausch wurden vereinheitlicht und es wurde viel in das unterschwellige, spielerische Lernen der Anwendung investiert.
WAS IST APPRECIATIVE INQUIRY?
Die Großgruppenmethode Appreciative Inquiry bricht mit vielen Annahmen des Change Managements. Statt Probleme zu analysieren, zielt sie darauf ab, positive Entwicklungen anzustoßen. Sie wurde hier eingesetzt, um die kollektive Intelligenz und Kreativität der Organisation zu mobilisieren. Diese Methode ermöglicht es, komplexe Herausforderungen effektiv zu bearbeiten und alle Ebenen der Organisation in den Transformationsprozess einzubinden. Das Herzstück des Prozesses bilden Interviews unter den Mitarbeitenden, die auf den Erfolgen, Stärken und Potenzialen der Organisation fokussieren und damit gleich die gewünschte Richtung verstärken. Probleme sind dabei Anlass der Veränderung, aber man erforscht nicht ihre Ursachen, sondern die gemeinsamen Ressourcen und Möglichkeiten. Anschließend folgt die Formulierung gemeinsamer Zukunftsbilder, die Orientierung geben und die Basis für konkrete nächste Schritte und Vereinbarungen bilden. Für Gebrüder Weiss Ungarn war diese Methode ein Schlüssel, um Eigenverantwortung zu fördern, die Zusammenarbeit zu stärken und eine zukunftsorientierte Unternehmenskultur zu etablieren.
BEREIT FÜR DIE ZUKUNFT
In 2025 wird sich Gebrüder Weiss Ungarn mit der Digitalisierung und neuen Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz auseinandersetzen. Denn die Filiale in Ungarn wurde immer mehr zu einem Vorreiter für Wissenstransfer und Digitalisierung im Konzern. Hier werden heute neue Tools getestet und evaluiert,
um wertvolle Insights für den Konzern zu generieren. Damit ist auch das Stammhaus in Lauterach mit dieser Entwicklung zufrieden. Die Geschäftsführung in Ungarn hat ihre Ziele erreicht und sieht sich für schwierige Zeiten besser gerüstet. Bálint Varga: »Das Programm war eine Möglichkeit für mich, die HR-
Abteilung und alle Mitarbeitenden, gemeinsam die Firmenkultur zu verbessern und zu entwickeln. Und ich glaube, wir sind noch auf dem Weg. Wir sehen weiterhin Potenzial. Aber es ist auf jeden Fall gelungen, eine lernende Organisation zu etablieren.«